Es gibt Geschichten, die sind so authentisch, dass sie erfunden sein müssen. Das denke ich mir oft. Meine heutige Geschichte ist nicht erfunden. Sie handelt von zwei Freunden oder Bekannten. Oder Trainingspartnern. In jedem Fall ein ungleiches Paar.
In den letzten beiden Wochen hatte ich mir vorgenommen mein Training im Fitnessstudio immer morgens zu absolvieren. Mein Training begann dabei immer bereits um 8.00 Uhr. Während mir abends die unterschiedlichsten Menschen begegnen, darunter tatsächlich auch viele Löwen, sind morgens vor allem Rentner im Studio. Oftmals sind sie sehr gesprächig und ich habe Mühe, nicht zu viel Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Nicht weil mich Geschichten nicht interessieren, aber ich will mein Training durchziehen. Ablenkung kann ich mir da nicht leisten.
Doch an diesem einen Morgen wurde ich Zeuge eines seltsamen Teams …
Zwei Männer. Älter als 70 aber vermutlich die 80 noch nicht erreicht. Ich kann mich aber auch täuschen.
Beide gingen aufs Laufband.
Der eine von ihnen, deutlicher Bauch, weißer Bart und weiße Haare, wirkte zufrieden. Er stellte sein Laufband auf vielleicht 4 km/h ein und marschierte los. Über seine große Wampe spannte sein rotes Shirt. “FC Bayern München – Rekordmeister” war dort zu lesen. Auch ein Handtuch der Seitenstraße hatte er. Es hing über dem Griff. Und so marschierte er vor sich hin.
Der Andere, etwas kleiner, drahtiger und zumindest gefühlt etwas sportlicher, stieg auf das Laufband nebenan. Sofort murmelte er vor sich hin, warum da so viele Knöpfe sind und überhaupt, wo waren denn die alten Geräte? Seit gut zwei Wochen standen dort diese neuen Geräte. Warum musste alles immer so kompliziert sein? Er trug ein Löwen-Trikot.
Sein roter Freund wollte ihm einen Ratschlag geben. “Du musst diesen Knopf …”
“Ich weiß, was ich muss”, kam die Antwort patzig zurück. Dennoch brauchte er eine Weile bis er endlich das Laufband zum laufen bekam. Und dann stapfte er los. Keine 4 km/h wie sein Freund, sondern erst mal 6 oder 7 km/h um dann genervt auf 3 km/h runterzuschalten.
5 Minuten später stoppte der Löwe dann das Band, kletterte vom Gerät und stapfte an mir vorbei.
“Was ist jetzt los? Der Löwe hört auf und der Rote macht weiter?”, fragte ich.
Er schaute mich an und antwortete rasch: “Keine Ahnung. Da musst doch ihn fragen, warum er weitermacht.” Es klang wie ein Vorwurf.
“Ich wollte aber wissenm warum der Löwe aufhört”, grinste ich.
“Ich hör ja nicht auf. Ich geh nur zum nächsten Gerät”, murmelte er und stapfte dann zur Rüttelmaschine. Während sein roter Freund noch 2 oder 3 Minuten weiter lief.
Ich war einige Zeit mit meinem Training beschäftigt, als sie irgendwann zu den Kraftsport-Geräten kamen. Das unfassbar ungleiche Paar. Aber irgendwie scheinen sie doch Freunde zu sein. Vielleicht kennen sie sich schon lange. Eine gemeinsame Vorliebe in der Frage nach dem Fußballverein scheinen sie in jedem Fall nicht zu haben.
Und so trainierten sie abwechselnd an der Bauch-Maschine. Der Rote fing an. Machte in Ruhe seine Übungen, leistete dabei nicht wirklich viel mehr als notwendig war und stand dann selbstzufrieden auf. “Du bist dran.”
Der Löwe wollte sich setzen, sah dann aber das rote Handtuch und schimpfte. “Du hast dein Handtuch vergessen.” Anfassen wollte er es wohl nicht. Und so wartete er bis sein roter Freund den Stoff mit dem Seitenstraßen-Logo entfernte. Er setzte sich selbst drauf und erhöhte das Gewicht deutlich.
Ich wusste, dass es zu viel sein würde. Nein, sich an das eigene Leistungsniveau heranzutasten, das ist eben nicht löwentypisch. Statt dessen schimpfte der Löwe, dass das Gewicht ja viel zu schwer eingestellt sei.
“Du hast es doch selbst eingestellt”, murmelte der rote Trainingspartner.
“Hab ich nicht!”, schimpft der Blaue, stellte das Gewicht etwas niedriger ein und blickte dann verwundert auf die Zahlen: “Stimmen die Angaben überhaupt?” Dann pumpte er wie ein Maikäfer seine Übung durch.
Kennt ihr den Spruch? Maikäfer haben eine interessante Flugtechnik. Sie haben ein feines Röhrensystem, das sie zum Atmen nutzen. Über Öffnungen an der Brust und Hinterleib pumpen sie frische Luft, in dem sie ihren Hinterleib zusammenziehen und wieder locker lassen. Sie öffnen dann die Deckflügel, die weichen Unterflügen beginnen heftig zu schwingen und sorgen für den Auftrieb. Genau so sah das auch bei diesem trainierenden Löwen aus. Abgehoben hat er glücklicherweise allerdings nicht.
Vermutlich hätte ich ihnen noch eine ganze Stunde zuschauen können. Wann erlebt man schon Löwen so toll in freier “Wildbahn”? Aber die wichtigste Frage, die ich mir stelle: sind wir wirklich so viel anders? Was macht den Charakter der Löwen überhaupt aus? Was unterscheidet uns von den Fans des roten Nachbarn? Sind wir kritischer? Mürrischer? Stellen wir mehr in Frage?
Nun ja, anders sind wir allemal. Das wusste ich aber auch schon davor …
Übrigens: Eigentlich wollte ich ja nach einem besseren Titelbild fragen – ich hatte aber dann doch Angst, dass mich der Löwe intensiv nach dem “Wieso, weshalb, warum” befragt. Da hab ich es dann doch gelassen.