Der 06. Dezember ist als Gedenktag des Heiligen Nikolaus mit vielerlei Bräuchen verbunden. Die Befragung der Kinder durch den Nikolaus, ob sie denn brav gewesen sind, ist beispielsweise auf ein Gleichnis von den anvertrauten Talenten aus dem neuen Testament zurückzuführen. Der Einlegebrauch, das nächtliche Füllen der Schuhe oder Ähnliches, basiert auf der Legende von den drei Jungfrauen, die nachts vom heiligen Nikolaus beschenkt wurden. Ursprünglich war der Nikolaustag auch der Tag der Weihnachtsbescherung. In einigen Ländern ist er dies auch heute noch. Erst infolge der Ablehnung der Heiligenverehrung durch die Reformation wurde die Bescherung in vielen Ländern auf Weihnachten verlegt, und infolgedessen wurde der Nikolaus als Gabenbringer mancherorts vom Christkind abgelöst. So auch in Bayern. Durch dieses wechselseitige Verhältnis hat sich im 19. Jahrhundert das US-amerikanische Brauchtum um den Weihnachtsmann Santa Claus entwickelt, die heute weltweit dominierende Rezeption des heiligen Nikolaus. In Bayern aufgewachsen, und von der schleichenden Amerikanisierung des Brauchtums abgeneigt sehe ich vor meinem geistigen Auge am 24. Dezember das Christkind in seinem Rentierschlitten herniederschweben und die Playstation für die Kinder unter den Weihnachtsbaum legen. Der Herr im roten Mantel und einem Jutesack über dem Rücken, in dem er Äpfel, Nüsse, Mandarinen und Schokolade für die Kinder transportiert, hat seinen Auftritt am 06. Dezember. Und nur an diesem Tag. Ich wunderte mich daher keines Wegs über mich selbst, als ich den scheinbar verirrten Zeitgenossen im Roten Mantel am 17. Dezember diesen Jahres im Innenhof des Münchner Rathauses mit den Worten begrüßte: „Da bist ja endlich! Wo kimmst denn du so spät daher?“.
Der Plan des Abends war es mit der Präsidentin der Löwenheimat GiesingLöwenheimat Giesing e.V. ist der Trägerverein des Löwenma... e.V. gemütlich einen Glühwein zu trinken und die abgelaufene Hinrunde der Blauen Revue passieren zu lassen. Und dann kommt doch glatt dieser bärtige Rote auf einem Dreirad um die Ecke. Von meiner recht forschen aber doch freundlichen Begrüßung scheinbar angetan, kam der Rauschebart zielstrebig auf uns zu. Gerade als hätten sich alte Bekannte nach längerer Zeit wieder getroffen. Die ersten Worte waren gewechselt, “I bin da Woida, habe di Ehre”, die Einladung auf einen Glühwein ausgesprochen und es war schnell klar, „des ko lustig wern“. Dass der Walter-Santa-Nikolaus nicht um seiner selbst Willen hier seine Runden dreht, war ebenfalls schnell klar. Hier ein Foto mit einer ganzen Familie, da ein Foto mit einem Kind. Hier ein Apfel, da eine Mandarine als Geschenk obendrauf. Der Lohn sind leuchtende Kinderaugen und eine kleine Spende in die Box am Fahrrad des Nikolaus. Noch schnell ein Selfi mit einer asiatischen Frau und schon hatte der bärtige rote Mann wieder Zeit für uns.
“Do wennst mia ned gehst mit dene Chinesen”. Ein fragender Gesichtsausdruck unsererseits reichte aus und schon sprudelte es aus Walter nur so heraus. “I hob a moi vorm Hofbräuhaus a Foto mit so oana chinesischen Reisegruppe gmacht, des war lustig. Am End hod mia de Bande ganze vier Cent ind Hand nei druggd. Schleichts eich hob i gsogd”. Ja der Walter ist hier nicht nur aus Spaß an der Freude unterwegs. Er sammelt für bedürftige Kinder. Apropos Kinder. Sein Blick schweift zielstrebig durch den Innenhof. “Koane Kinder mehr do. Guid des Angebot mit dem Glühwein no?” “Freilich lieber Weih-, eh Santa, eh Niko. Woida, i bring da glei oan.”
Klirr und Prost. Ein schöner Schluck aus dem warmen Glas und schon wieder schweift sein suchender Blick durch den Innenhof. In der Gewissheit eines kinderlosen Bereiches steckt sich der Walter jetzt auch noch eine Fluppe in den Mund. Seinen Rauschebart hab ich schon in Flammen gesehen. Ein tiefer Zug an der Zigarette, ein zufriedener Blick und schon sprudelt Walter wieder. Der Rauch quillt durch seinen Bart während er spricht. Es scheint fast so, als wären wir für den Walter eine willkommene Abwechslung in seinem Nikolausalltag. Was für ein wunderbarer Moment in einer wunderbaren Kulisse. Keinem von uns könnte es gerade besser gehen.
Dabei hat der Walter schon ganz andere Zeiten durchlebt. Vier Jahre war er als Obdachloser auf der Straße unterwegs. Den Krebs hat er besiegt, viele Operationen über sich ergehen lassen. Mittlerweile wohnt er in einer kleinen Wohnung und lebt von Erwerbsminderungsrente. Seine Worte klingen dabei keineswegs mitleidig. Er hält es eher nach dem Motto “is hoid so, huivd ja nix”, wie man es in Bayern so schön auszudrücken vermag. Das Fahrrad, mit dem er hier unterwegs ist, hat er ursprünglich zum Flaschen sammeln geschenkt bekommen. Seit mittlerweile 12 Jahren ist er mit dem Dreirad für Erwachsene als Nikolaus in München unterwegs und sammelt Spenden. Den roten Mantel hat er vom Chef der Paulaner Brauerei geschenkt bekommen. Als radeldner Nikolaus ist er nach eigener Aussage in der gesammten Innenstadt Münchens bekannt. Seit kurzem hat er auch offiziell, und vom Bürgermeister höchst persönlich ausgestellt, eine Legimitation das zu tun, was er eben tut – als radelnder Nikolaus. Dabei ist er überall gern gesehen und wird auch manchenorts fest gebucht. Auf der Eisfläche am Stachus verteilt er beispielsweise schon traditionell am Nikolaustag die Geschenke.
Ja der Walter macht schon was her in seinem roten Gewand und seinem fantasievoll dekorierten Fahrrad. Vorne am Lenker hat er eine Krippe angebracht. Nicht wenige Touristen senken den Kopf, um einen Blick von Maria, Josef und dem Christus-Kind zu erhaschen. Walter meint nur trocken, dass “des Glump” seit Jahren im Keller gelegen ist und nun am Fahhrad des Nikolaus seine wahre Bestimmung gefunden hat. Da mag er recht haben, der rote Bruder in seinem pelzbesetzten Bademantel.
Mir wird es ob des grellen Rot seines Kostüms langsam aber etwas zu bunt. Ich kann es mir nicht mehr verkneifen ihm mitzuteilen, dass wir beide, die Tami und ich, tief blaue Zeitgenossen in einem blauen München sind. Walter neigt den Kopf und blickt uns bewusst und tief in die Augen. Aus einer inneren Überzeugung heraus macht er uns klar, dass München schon immer blau gewesen sei. Der echte Münchner ist ein Sechzger. So wie er selber auch. Mit Fünf war er mit seinem Vater das erste Mal im Grünwalder Stadion. Seit dem ist er ein Blauer. Durch und durch. Den ganzen “Schmarrn” mit den Finanzen, dem Investor, dem PräsidentenÜbersicht über alle Präsidenten des TSV München von 1860..., das könne er nicht nachvollziehen. Dafür wäre er zu weit weg vom Geschehen. Aber er verfolgt die Mannschaft immer, wenn es geht. Freut sich über Siege und leidet bei Niederlagen. Nächstes Jahr wird er 60 Jahre lang ein Blauer sein. Darauf sei er stolz. Leider hatte er nie das Geld, um Mitglied seines geliebten Vereins zu werden. Und ja, ihm fehle auch das nötige Kleingeld, um nochmal ins Sechzger Stadion zu gehen. Die Tami und ich, wir schauen uns an. Die Telefonnummern sind schnell ausgetauscht. Und so wird es die Löwenheimat GiesingLöwenheimat Giesing e.V. ist der Trägerverein des Löwenma... e.V. ermöglichen, dass im kommenden Jahr der “blaue” Nikolaus gemeinsam mit uns in der Kurve feiern wird. Sicherlich nicht im Roten Mantel, aber einem weiß-blauen Sechzger-Schal.
So jetzt muss er aber wieder los der Walter. Um 18:60 Uhr hat er wieder einen Termin am Glühweinstand vor dem Donisl. Da gibt es im Übrigen einen weißen Glühwein mit Ingwer. Der Walter schwört drauf. Danke für den Tipp. Schöne Weihnachten. Mach es gut Walter. Wir sehen uns nächstes Jahr in der Westkurve.
Und wie er da so durch den Torbogen des Rathauses mit seinem Fahrrad hinaus auf den Marienplatz schreitet, vielleicht lag es auch am Licht, für einen Moment dachten wir wirklich sein Nikolauskostüm wäre blau.
Ein Glas weißer Glühwein 4,50 €.Eine Kleinigkeit in die Spendenbox 2,00 €.
Einmal Lachen mit dem blauen Nikolaus im roten Mantel, unbezahlbar.
Das Löwenmagazin wünscht all seinen Lesern ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.