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Ultras und Pyro-Technik: Die Suche nach der Identifikation

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Ein Kommentar

Es ist ein letzter Rückblick auf Augsburg. Dann lege ich diese Geschichte für mich und das Löwenmagazin ad acta. Aber die Gedanken, die ich mir in den letzten Stunden und Tagen gemacht habe, sind durchaus interessant. Weil sie kontrovers zu dem sind, was ich anfänglich dachte und schrieb. Es geht um die Pyro-Technik. Und es geht um die Frage nach einer Fankultur und ihrer Rolle in der Gesellschaft.

Augsburg, es brennt in der Kurve

UltrasEs raucht und qualmt im Augsburger Stadion. Und ein Aufschrei geht sowohl durch die Medien, als auch durch die sozialen Netzwerke. Selbst ich ertappte mich dabei, wie ich schnell den mahnenden Finger erhob und davor warnte. Das Bild, dass man nach außen von Sechzig im Moment hat, könnte beschädigt werden. Schnell fallen Worte wie “Vereinsschädigung”.

In der Zwischenzeit sind einige Tage vergangen. Und ich frage mich, ob der Aufschrei gerechtfertigt oder sogar nötig gewesen war. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich ein ungutes Gefühl. Ich fühle mich alt. Ich ertappe mich dabei, wie es mir in dieser Woche nicht wirklich gelang, die jüngeren Menschen in der Kurve zu verstehen. Diejenigen zu verstehen, die manche gerne als Brandstifter markieren. Sowohl reell gesprochen im Hinblick auf die Pyrotechnik, als auch symbolisch im Bezug auf den Ruf der Fans. Und das ist immer ein Problem mit mir: Ich will es verstehen. Und so gehe ich in mich.

“Pyro: Beim DFB nicht verhandelbar”

Pyro-Technik: eine Doppelmoral

Pyro-TechnikVorab: Wir haben es ohnehin mit einer Doppelmoral zu tun. Im Jahr 2013 bejubelte der ARD-Reporter beim Skispringen in Garmisch-Partenkirchen die Pyro-Technik als Teil einer großartigen Stimmung. Ein Reporter eines Senders, der im gleichen Jahr vehement Pyro-Technik als einen Gewaltakt in deutschen Stadien verurteilt. Eine heuchlerische Doppelmoral, die wir durchaus im Hinterkopf behalten sollen. Ob Pyro-Technik und Sport zusammengehören, da kann man sich darüber streiten. In Deutschland sieht man das vor allem im Hinblick auf den Fußball sehr kontrovers. Um 18 Prozent stiegen die Fälle in der vergangenen Saison an. 50 Menschen wurden verletzt. Uns muss in jedem Fall klar sein: Pyro-Technik in deutschen Stadien ist verboten. Und das gilt es zu erörtern. Der DFB: “Dieser Punkt ist nicht verhandelbar!”

Die Suche nach der Identifikation …

Die Diskussion Pro oder Contra ist das eine. Das andere ist die Frage, warum es jemand tut, obwohl es verboten ist. Ich schaue zurück. Viele Jahre sind vergangen, erinnere mich aber an meine Jugend. Ein Rebell durch und durch. Ich stellte alles und jeden in Frage. Vor allem meine Eltern. Und die reagierten mit unglaublicher Strenge. Meine Mutter, in München geboren, mein Vater in Stuttgart. Sie ergänzten sich perfekt zu einem recht konservativen süddeutschen Elternpaar. Die Konsequenz ihrer Stränge war noch mehr Rebellion. Ich war auf der Suche nach meiner Identifikation, nach meinem Platz in der Gesellschaft. Testosteron pumpte durch meinen Körper. Ich trieb viel Sport, aber das reichte mir nicht.

Als ich schließlich zur Fallschirmjägertruppe einberufen wurde, damals noch als Wehrpflichtiger, war ich noch immer ein stolzer Rebell. Der jedoch am gleichen Tag wie erstarrt vor dem ersten Unteroffizier stand und plötzlich vollkommen kleinlaut war. Die ersten wirklichen Regeln außerhalb des Elternhauses. Und ein wichtiger Prozess begann. Einige Jahre blieb ich, wurde Offizier bei den Fallschirmjägern und fand meinen Platz in der Gesellschaft. Ein Platz, der sich freilich im Laufe der Jahre immer auch ein wenig änderte. Aber ich lernte zu differenzieren. Wir haben eine Gesellschaft in der nicht alle gleich ticken und nicht jeder gleich ist. Das muss man akzeptieren. Und Brücken finden. Ich baute ein unglaublich gutes Gespür für die Ausbildung junger Fallschirmjäger auf. Trotz Härte war ich beliebt. Selbst der Rebellion bereits entflohen und dennoch gedanklich noch nicht so weit weg.

Heute weiß ich: Vielen jungen Männern zeigte ich den Platz in der Gesellschaft zu finden. In dem ich ihnen die Möglichkeit gab, sich in diesem Staat ihrer Rolle bewusst zu werden. Als Staatsbürger in Uniform und darüber hinaus. In der Zwischenzeit ist die Wehrpflicht abgeschafft.

Ultras und die Sittenprediger

Sehe ich die Ultras, dann sehe ich mich in jüngeren Jahren. Ich versuche zu verstehen, warum es ihnen nicht reicht, in der Kurve ihre Mannschaft einfach nur stimmlich zu unterstützen. Warum muss der Rauch sein? Ich frage mich, was die Beweggründe sind, dass jemand heimlich Rauchkörper in ein Stadion schmuggelt und ein landesweites Stadionverbot risikiert. War ich anders? Nein, eigentlich nicht. Warum also führe ich mich heute auf, als wäre ich ein Priester und der Sittenprediger schlechthin? Bin ich zu weit weg von dieser Jugend? Vielleicht. Ich ertappe mich dabei, wie bequem ich geworden bin. Ich will mein Bier trinken, dann ins Stadion und ein tolles Spiel sehen. Natürlich will ich vor allem auch eine großartige Stimmung, sonst wäre ich wiederrum enttäuscht. Ich bin aber vor allem eines: Nicht mehr auf der Suche nach meiner Identifikation. Aus meiner Bequemlichkeit ist es leicht geworden, über andere zu urteilen. Und das ist nicht gut. Vor allem aber: Wir haben alle Angst, dass es mit unserem Verein wieder bergab geht. Wir wollen uns die Hoffnung erhalten. Und deshalb haben wir Angst, wenn jemand daran rüttelt.

Hochgeschätzt und doch verteufelt

Polizeisperre Fans 1860Die Ultras werden hochgeschätzt und doch verteufelt, und zwar immer dann, wenn es nicht so läuft, wie wir es wollen. Moment, wie wir es wollen? Was wollen wir überhaupt? Ich merke, wie der Fußball sich immer weiter von der Basis löst. Die Kontrollen werden strenger, die Regeln heftiger und der DFB hätte den Fußball am Liebsten als großes Marketing-Spektakel. Ultras? Ja, die wollen wir. Aber bitteschön so, dass das Marketinginstrument Sport nicht beschädigt wird. Und auch die Polizei arbeitet oftmals so. Bloß kein Konflikt. Alles wird politisch entschieden und nicht mehr taktisch. Gerade durch meine Ausbildung als Offizier spüre ich das deutlich. Die Verantwortlichen vor Ort haben nichts mehr zu sagen. Das war früher anders und man nannte es Auftragstaktik. Da hatten die Beamten auf der Straße noch eine Entscheidungsgewalt. Heute wird alles am Reißbrett oder am PC entschieden und per Funk weitergegeben: Das nennt man Befehlstaktik.

Kritik am DFB? Verhallt ohne Bedeutung

UltrasDie Ultras – liebe Kätzchen in der Kurve? Immer wieder bringen sie sportpolitische Botschaften. Kritik am DFB. Und die meisten im Stadion wollen so etwas sehen. Doch die Kritik verhallt im Grunde im Nichts. Was also tun, wenn man jegliches Engagement in die Kurve legt und vom DFB völlig ignoriert wird? Wie soll man da seine Identifikation finden und seine Rolle in der Gesellschaft?

Was habe ich getan, wenn meine Eltern mich in mein Zimmer geschickt haben und mit autoritärer Erziehung versucht haben, mich zu kontrollieren, damit die Nachbarn sehen, das ist ein vorbildliches Haus? Richtig, ich habe rebelliert. Ich erinnere mich noch, wie ich mit einer Steinschleuder von meinem Fenster beim Nachbarn die Milchkannen abgeschossen habe. “Hey, ich bin da, ich lebe! Und ich lasse mich ungern immer nur in Schranken weisen!”

Die Ultras groß zu loben, wenn sie tun, was im Rahmen des DFB liegt und dann, wenn sie über die Stränge schlagen, mit der großen moralischen Keule zu kommen, nein, das ist sicherlich nicht der richtige Weg. Das wird mir jetzt klar. Zweifelsohne muss der Verein klare Regeln festlegen und durchaus auch mahnende Worte finden. Und er muss sich distanzieren. Doch vor allem gilt es, den Dialog zu suchen.

Männer, und sicherlich auch Frauen, die auf der Suche nach Identifikation sind. In einer Welt, die herzlich wenig Identifikation zulässt. In der wir durch Angst beherrscht werden. Vor allem vor globalen Problemen, mit denen wir eigentlich herzlich wenig zu tun haben. Wie kann man sich da selbst finden? Uns fehlt es an Leitbildern und einer Leitkultur. Alles ist schwammig geworden. Unsere Politik lasch und unsere Gesellschaft faul.

Ein klares Statement für Vertrauen: Polizei-Vize Werner Feiler

Polizei MünchenEs ist erstaunlicherweise gerade die Münchner Polizei, die mich diese Woche überrascht hat. Die den Ultras einen Vertrauensvorschuss gibt. Der Einsatzleiter und Polizei-Vizepräsident Werner Feiler mit großväterlicher Stimme und Schmunzeln im Gesicht sagt: “Sie verhalten sich bislang vorbildlich und wir erwarten das auch beim Derby!” Seltsame Worte in einer Gesellschaft, wo es eigentlich mit den Ellenbogen vorwärts geht. Aber vielleicht kommen diese Worte gerade von einem Mann, der in der Karriereleiter eben schon ganz weit oben ist und nicht mehr den Mahner spielen muss.

Pyro-Technik und körperliche Gewalt: Alles in einen Topf

Vor allem aber dürfen wir eines nicht: Diejenigen ausgrenzen, die hier rebelliert haben. Zu schnell fallen Worte wie “Verbrecher” und “Täter”. Verharmlose ich es? Nein. Es hat durchaus auch ein Gefahrenpotential. Aber wir dürfen nicht immer alles in einen Topf werfen. Da gibt es die jungen Fans, voller Testosteron. Und da gibt es Fans, die in der Midlife-Crisis stecken und ihrem Alltag entfliehen wollen. Andere Fans wiederrum sind tatsächlich komplett auf Gewalt aus, Fußball ist nur eine Nebensache. Es ist nunmal so, dass der Polizeibericht im Endeffekt lediglich eine Auflistung von Vorfällen aller Art ist. Aber es macht dann doch einen Unterschied, ob ich eine Pyro-Fackel hochhalte oder bewusst auf der Straße einen anderen Fan mit der Faust niederstrecke. Stunden nach dem Spiel. Es kann im Nachhinein nicht einmal jemand sagen, ob die überhaupt beim Spiel waren.  Das muss uns klar sein. Das muss uns bewusst sein. Die Fangemeinde ist keine klar definierte Masse. Jeder sollte in sich gehen und prüfen, ob er nicht die Ultras auch immer wieder gerne in einen Topf wirft. So wie es der DFB gerne tut. Und manchmal auch die Polizei.

 

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