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Stadionzukunft 1860 – ein virtuelles Erlebnis

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Es könnte so schön sein. Man sitzt gemütlich auf dem Plüschsofa daheim, hat eine VR-Brille an und schon geht sie los, die Fahrt zum Heimspiel der Löwen. Verkehrsproblem in Giesing? Problem ist gelöst. Anwohnerbeschwerden? Gibt es nicht mehr. Eine Glosse über die Löwen.

Es ist Samstag, frühmorgens. Gemeinsam mit 100.000 anderen Löwenfans machst du dich auf nach Giesing. Gemütlich vom Plüschsofa aus, eine VR-Brille auf dem Kopf. Ein wenig ärgerst du dich, dass man bei der Programmierung der “Stadionzukunft 1860” zu viel wollte. Dein Zug hat Verspätung. Das soll das virtuelle Erlebnis noch realistischer machen, sagt man.

Nachdem du endlich angekommen bist, gehst du zum Grünspitz. Dort gönnst du dir erst mal ein virtuelles Bier. Du trinkst und stellst fest – alkoholfrei. Ein Bug, ein sogenannter Programmierfehler. Du hast davon schon gehört. Aber besser als dein letzter Besuch in Giesing. Da hattest du plötzlich statt einem Bier eine Banane in der Hand. Da hatte jemand den Code des Programms “Dschungelerlebnis 2025” aus versehen eingebaut. Böse Zungen meinen, dass sei Absicht gewesen. Als Schleichwerbung für Chiquita. Das Unternehmen dementiert. Die Löwen seien keine relevante Zielgruppe für die Firma aus Boston.

Dann geht es ab ins Stadion. Mit 100.000 anderen Löwenfans. Einige haben sich davor mit gegnerischen Fans geprügelt, hört man. Natürlich nur virtuell. Wenn man ordentlich verprügelt wird, ist es trotzdem unangenehm. Es kostet entweder Geld oder aber man schaut sich einen fünfminütigen Werbeclip von der Bayerischen an. Dann kann man virtuell wieder aufstehen und ist praktisch gesund. Städtisches Stadion an der Grünwalder Straße steht übrigens in real am Eingang. Virtuell sieht man den Schriftzug: “Virtuelles Löwenstadion – präsentiert von die Bayerische”.

Endlich sitzt du auf deinem Platz. 100.000 Fans passen ins Stadion. Jeder findet seinen Platz. Eigentlich sind es 10.000 Zuschauer im realen Leben. Rein passen eigentlich 25.000, doch bei dem Wetter versucht jeder ein “Online”-Ticket zu ergattern. Die paar Hansel sind allerdings wegprogrammiert und nicht zu sehen. So können sie im realen Leben ihre Spruchbänder und Fahnderl schwingen wie sie wollen, das interessiert die 100.000 Fans des virtuellen Stadions herzlich wenig. Sie sehen es nicht.

Du ärgerst dich ein wenig über die Viagra-Werbung auf den Banden. Das Programm von “Stadionzukunft 1860” hat natürlich auch die Funktion einer personalisierten Werbung. Weil du erst vor kurzem nach Viagra gesucht hattest, wird hierzu nun Werbung eingeblendet: “Sei nicht feige, stehe deinen Mann – Viagra, damit der Löwe wieder kann!” Gut ist, dass dein Nachbar nicht weiß, welche Werbung bei dir eingeblendet wird. Was dich außerdem ärgert sind die Fans vor dir. Fünf Idioten, die sich als Avatar ausgerechnet den Präsidenten ausgesucht haben. Und nun sitzt vor dir fünf Mal der Reisinger. Ein sehr beliebter Avatar, war der Präsident doch derjenige, der gegen ein virtuelles Stadion war. Das hat was von Ironie. Zu allem Übel drehen sie sich um und winken dir zu. Vielleicht hättest du nicht den Avatar von Verena Kerth wählen sollen.

Und nun kommen sie. Die Spieler des TSV 1860 München. Real zu sehen für die 10.000 anwesenden Fans. Und natürlich virtuell für 100.000 Fans auf ihren Plüschsofas. Die Spieler sind echt und das ist gut so. Sonst würde das Konzept nicht aufgehen. 5.000 Kameras nehmen das Spiel aus allen möglichen Blickwinkeln auf und übertragen es in die virtuelle Welt. Das schafft “fußballerische Authentizität und bestmögliches Stadionerlebnis”, heißt es als Werbespruch. Man werde sich virtuell genauso aufregen können, wie im realen Leben, so das Motto. Und tatsächlich ist es egal ob man nun zu den realen Fans vor Ort gehört oder virtuell dabei ist – die Löwen sind auf dem 12. Platz in der Dritten Liga. Das ist weiterhin kein sportlicher Leckerbissen. Spielt aber keine Rolle, das virtuelle Erlebnis ist trotzdem gegeben. Und wie heißt es so schön – einmal virtuell Löwe, immer virtuell Löwe.

Die Löwen verlieren. Wieder einmal. Zumindest gehst du davon aus. Es sind noch 20 Minuten zu spielen. Sechzig liegt 0:3 hinten. Aber das ist das schöne am virtuellen Stadion. Du kannst die VR-Brille abnehmen und bist raus. Der links oder rechts von dir wird sich nicht wundern, dass du nicht mehr da bist. Unter dir haben sich längst die Reihen gelichtet. Die fünf Reisingers sind auch schon weg.

Du schaltest ab, seufzt und schaltest dann wieder ein. Nicht zurück ins Stadion. Sondern in die Karibik. Doch als dir dort die fünf Reisinger entgegenkommen, die bereits zehn Minuten vor dir die gleiche Idee hatten, schaltest du komplett ab. Vielleicht wird es Zeit für ein Spaziergang. Ohne VR-Brille. Denn irgendwie fällt dir die Decke auf den Kopf.

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