Sechzig: Wir brauchen unsere Seele zurück

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München ist blau, München ist Sechzig

Scheiß egal was ich schreibe, ich finde Befürworter und Gegner in gleichem Maße. Jüngst schrieb einer zu einem meiner Beiträge “… da hat wohl wieder mal einer zu viel Weißbier getrunken!” Nett. Sehr nett. Und das ist noch harmlos. Ist ja in der Zwischenzeit vollkommen normal geworden, dass man unter Sechzgern sich gegenseitig bekämpft und kritisiert. Keine Ahnung, wie es in anderen Vereinen so abgeht. Aber das, was bei uns passiert, das ist nicht wirklich so schön. Und dabei haben wir es wirklich nicht nötig uns gegenseitig zu bekriegen. Bruder im Geiste? Scheiß drauf. Und das ist mehr als Schade!

S´Lebn is a Freid!

Es ist Samstag. Ich mach mich auf in die Stadt. Schau vorbei beim Obststandl Didi, der mir immer wieder ein Lächeln abringt. Jedes Mal stellt er die gleiche Frage: “Wie viel Huskys hast du dabei?” Es war am Samstag nur einer. Odin, mein Leithund. Ein ganz besonderer Kerl. Aber sei’s drum. Ich rede mit Dieter Schweiger. So ist sein richtiger Name. Wer ihn nicht kennt, dem fehlt was in München. Und ich rede natürlich mit ihm über Sechzig, unseren Verein. Er ist frohen Mutes. Glaubt, dass alles gut wird. Seinen überschwänglichen Optimismus kann ich nicht wirklich teilen. Ich bin Realist. Aber auch ich hoffe. Und ich lasse mich gerne von seinem “S´Lebn is a Freid!” anstecken. Immer, wenn ich bei ihm vorbeischaue. Verdammt. Wir leben zwischen 70 und 90 Jahren. Manche sterben auch früher. Und regen uns über jeden Furz auf. Ist das Leben dafür nicht zu kurz? Er hat recht. Wir tun manchmal so, als würden wir ewig leben.

Chinesischer Turm

SechzigServus Obststandl Didi. Ich gehe weiter. Mit einem Grinsen im Gesicht. Weil er es immer wieder schafft mir klar zu machen, dass das Leben viel zu kurz ist, um sich über jeden Scheiß aufzuregen. Ich gehe weiter. Durch den Englischen Garten. Vorbei am Monopteros. Weiter bis zum Chinesischen Turm. Hole mir eine Maß. Hacker Pschorr. Nicht wirklich meine favorisierte Brauerei. Hacker Pschorr, die verfolgt mich irgendwie. Das Bier in der Allianz Arena und wohl auch zukünftig im Grünwalder. Aber, meine Güte. Trinken wir halt eben auch hier Hacker Pschorr.

Ich setze mich zu einem Touristen. Er unterhält sich mit mir. Vor allem über Sechzig. Weil ihm schnell klar wird: Das ist ein Reizthema für mich. Und er grinst. Ja, der FC Bayern ist erfolgreich und seine Fans sind deutschlandweit verteilt. Hier in München sieht er Touristen mit Bayern-Tüte rumlaufen. Aber sind halt Touristen. Sechzger hingegen, so sagt er, das sind Münchner. Mit denen kannst dich unterhalten. Manchmal wirken sie depressiv. Manchmal bruddeln sie vor sich hin. Aber sie sind anders. Sie sind tief verwurzelt mit dieser Stadt. Nett übrigens: Der Tourist zahlt mir die nächste Maß. Danke dafür. Und er macht mir Mut. Nicht jeder sieht in München immer gleich den FC Bayern. Für viele ist Sechzig die Seele der Landeshauptstadt.

Die nächsten Touristen

Er muss weiter. Und ich leere meine zweite Maß. Unter der Bank liegt zufrieden mein Husky. Mein Leithund. Mein Leader im Schlittenhundeteam. Und da kommen zwei weitere Touristen. Ein Paar, das erst seit zwei Wochen zusammen ist. Und wir reden. Über München. Über Bayern. Und natürlich über Sechzig. Keine Ahnung wieso, aber irgendwie fange ich immer wieder mit diesem gottverdammten Verein an. Der mir so ans Herz gewachsen ist. Er meint, wenn er Fußballfan wäre, dann sicherlich ein Bayern Fan. Weil die sind erfolgreich. Vergiss es, denke ich. Du wirst niemals Fußballfan sein. Und ich erkläre ihm, warum Sechzig so viel mehr Tradition hat als der kommerzielle Verein aus der Seitenstraße. Denn es ist wichtig, dass Touristen eines verstehen: München ist Sechzig. Na ja, so wirklich überzeugen kann ich ihn nicht. Er ist die andere Sorte von Tourist. Einer, der München mit dem Erfolg des FC Bayern verbindet. 1860? Kennt er eher weniger. Übrigens hat mir das die zweite kostenlose Maß eingebracht. Warum auch immer. Vielleicht aus Mitleid. Und ich entscheide: Es ist genug. Drei Maß sind keine zuviel – aber genug.

Englischer Garten

Ich gehe durch den Englischen Garten. Lass meinen Alpha-Rüden laufen. Vorbei an feiernden Studenten, die sich Gustl nach Gustl hinter die Birne schütten. Einige haben Bayern-Trikots an. Oder wenigstens eine Mütze. Oder eine Tasche. Scheint in Mode zu sein. Die meisten davon werden vermutlich nie ein Stadion von innen gesehen haben. Aber sei’s drum. FC Bayern München, ja das ist eine Modeerscheinung. Aber Sechzig, das ist was ganz anderes. Das ist ein Geist, den nicht jeder hat und auch nicht jeder verdient. Und mit dem nicht jeder umgehen kann. Es ist nun mal leicht sich im Erfolg eines großen Vereins zu sonnen. Viel machen muss man dafür ja nicht. Nicht mal ins Stadion gehen. Höchstens im Englischen Garten eine FCB-Mütze tragen und schon ist man Teil des großen FC Bayern.

Englischer Junggesellenabschied

SechzigUnd ich treffe auf eine Gruppe von Engländern. Junggesellenabschied in München. Sage und schreibe drei Fässer Augustiner haben sie auf ihrem Wagen. Holzfässer. Direkt bei der Brauerei gekauft. Ich solle bitte nicht fragen, was das gekostet hat. Vermutlich viel. Der zukünftige Bräutigam möchte mit meinem Husky einige Bilder machen. Er trägt übrigens ein Dirndl. Und dafür bekomme ich Bier. Frischgezapft. Ich bin dankbar dafür, auch wenn ich eine halbe Stunde zuvor eigentlich entschieden hatte, dass ich genug habe. Und irgendwann kommt das Gespräch wieder auf Sechzig. Keine Ahnung warum. Sechzig ist in mir, Sechzig beherrscht mich. Und die Engländer sind begeistert. Ja, von Sechzig haben sie gehört. Und auch vom Niedergang. Und alle warnen mich: Seid froh, dass ihr so standhafte Germanen seid. In England ist das nicht so einfach mit den Investoren. Alles fest in der Hand von irgendwelchen reichen Männern. Manchmal klappt das prima und die werden dann gefeiert. Ja, man hat in England von Ismaik gehört. Und von den Fans, die sich nicht wirklich einig sind. Da ist der TSV 1860 München schon fast wie das gallische Dorf, das Widerstand leistet. Und ohnehin seid ihr Deutschen was Besonderes, so einer der Engländer. Ihr habt’s einfach drauf. Vor allem Sechzig hat es drauf. Keine Ahnung, ob sie es sagen, weil sie nur freundlich sein wollen.

Es ist genial ein Sechzger zu sein. Dort draußen in München ist das im Moment ein wenig schwer. Aber sei’s drum. FC Bayern, das kann jeder. Läufst du mit einer FCB-Tüte durch die Gegend, dann bist du zu hoher Wahrscheinlichkeit ein einfacher Tourist, der glaubt es wäre toll. Mit München hat das wenig zu tun. Mit unserer Tradition und unserem Stadtleben auch nicht. Aber der FC Bayern ist nun mal eine weltweit bekannte Marke.

Wir sind Sechzig

Leute! Wir sind Sechzig. Und wir haben nichts Besseres vor, als uns gegenseitig zu bekriegen. Alle Witze und Häme Richtung dem FCB sind längst verstummt, weil wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. Eine Familie zerbricht. Und keiner tut was dagegen. Ja, ich habe meine Meinung. Zur Stadionfrage, zum Investor und auch zum Präsidium. Aber egal, welche Meinung ein anderer Sechzger hat: Er ist vor allem eins, Teil meiner Familie. Denn das sind wir. Eine große Familie. Wir haben doch schon genug Probleme und Herausforderungen. Müssen wir uns da gegenseitig bekriegen?

München ist Sechzig. München ist blau. Und nicht die ganzen roten Tüten der Touristen. Wir müssen es nur zeigen. Wir müssen es leben. Und wir sollten erst einmal damit anfangen, Grabenkämpfe zu beenden.

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