Ein Kommentar
„Oh, meine Streiter und Bewahrer von Tradition. Es ist vollbracht. Wir sind nicht müde geworden über die Jahre hin und haben mutig gekämpft“, spricht der Protagonist mit grüner Robe und goldenem Bart. Ein Widerstandskämpfer der letzten Bastion Giesings. Er öffnet ein schmiedeisernes Tor und sie marschieren ein, die weiß-blauen Männer. Sie sind zurück. Eine Frau mit blonden Haaren löst sich aus dem Schatten der Bühne und fällt auf die Knie. „Wahrlich, mein Bruder. Wir haben es geschafft. Wir sind zurück in Giesing. Dort, wo unser Herz schlägt und unsere Heimat ist.“ So endet das nie geschriebene Bühnenstück und der Vorhang fällt.
14 Jahre lang haben die Anhänger der Freunde des Sechz’ger Stadions und der Initiative PRO1860 auf diesen Augenblick hingearbeitet. Man hatte sich geschworen, mit dem TSV 1860 München wieder zurückzukehren in das „magische Stadion“. Zurück ins Sechz’ger Stadion, zurück nach Giesing. Den Fehler von Vereinspräsident Karl-Heinz Wildmoser wieder gut zumachen, das war das Ziel. Dafür hat man die Satzung geändert, die relevanten Gremien besetzt und in einem strategisch klugen Moment den Auszug aus der Arena eingeleitet. Der Kommentar der Süddeutschen Zeitung klingt für manchen Fan wie eine romantisch angehauchte Dramaturgie von der letzten Bastion Giesings. Die einsamen PRO1860-Kämpfer haben schrittweise genau darauf hingearbeitet wo man heute ist. Man ist zurück auf Giesings Höhen. Zweifelsohne ist es nicht die Absicht des Redakteurs eine Verschwörung darzustellen. Manche Fans scheinen jedoch geneigt, genau das herauszulesen. In manchen Foren ist deshalb schon von einer Verschwörungstheorie die Rede.
Die Realität hat weit weniger von einem dramatischen Bühnenstück mit romantisch verklärtem Ausgang. Es ist durchaus zutreffend, dass die Freunde des Sechz’ger Stadions mit der aktuellen Lage zufriedener sind als noch vor zwei Jahren. Das Stadion soll ausgebaut werden. Das war eines der Ziele. Und dass die Initiative und Fanorganisation PRO1860 nicht müde wurde und für ihre Interessen gekämpft hat, ist durchaus richtig. Das stellt die SZ auch richtig da. Auch dass man Einfluss auf die heutige Vereinspolitik hat, entspricht der Wahrheit. Doch in seiner Gesamtheit basiert der aktuelle Zustand mehr auf einer Reihe vollkommen ungeplanter Vorkommnisse. Und hier sollte der Leser des SZ-Kommentars nichts überbewerten. Nur in Nuancen konnte überhaupt etwas geplant werden. 2017 drohte PRO1860 sich sogar aufzulösen. Die Homepage wurde gelöscht. Dass der damalige Präsident Peter Cassalette dem Gesellschafter aus Abu Dhabi freie Hand ließ, stieß bei PRO1860 bitter auf. Aufhalten konnte man es jedoch nicht. Vielleicht gut so, wird sich der eine oder andere von PRO1860 heute denken. Hätte man die katastrophale Saison 2016/17 aufhalten und den Größenwahn eindämmen können, vermutlich wäre man heute weiterhin in der Allianz Arena. Der Ausstieg aus dem ungeliebten Stadion am Müllberg war sicherlich ein Wunsch vieler aus den Reihen der sogenannten „Traditionalisten“. Planbar war er nicht. Er ist die Folge einer klaren Misswirtschaft und falscher Entscheidungen. Bei denen durchaus auch Protagonisten eine Rolle gespielt haben, die im Endeffekt herzlich wenig mit den Löwen zu tun hatten. Ein ominöser Berater aus London zum Beispiel. Es sind durchaus traurige Umstände, die den „Aktivisten“ in die Karten gespielt haben.
Ein immenser Schuldenberg wird den TSV 1860 München auch in Zukunft noch lange beschäftigen. Der aktuelle Weg ist nicht der Weg von PRO1860, auch wenn er von ihnen befürwortet wird. Er ist ein notwendig gewordener Weg. Das hat auch Karl-Christian Bay bei der Mitgliederversammlung deutlich gemacht: Der Weg ist alternativlos. Dahinter steckt kein jahrelanger Plan. Keine Verschwörung und kein „Staat Giesing“.
Für August soll sich übrigens Hasan Ismaik angekündigt haben. Er möchte die ARGE besuchen. Die Gegenorganisation zu PRO1860, um die es deutlich ruhiger geworden ist.
Titelbild: (c) bertys30 via depositphotos.com