Am heutigen Tag spielt der TSV 1860 München gegen den FC Energie Cottbus. Beide Vereine beschäftigen sich immer wieder mit den Themen Rechtsradikalismus und Rassismus in der Kurve. Der FC Energie ist dabei relativ häufig in den Schlagzeilen. Die rechte Szene dort ist bundesweit bekannt. Am heutigen Abend sollte sich alles rund um den Sport drehen. Doch heute Morgen möchten wir diese wichtigen Themen zumindest anreißen. Wir sprachen dabei gestern mit dem Fan-Experten Robert Claus.
Das Interview
Am morgigen Freitag trifft der TSV 1860 München auf den FC Energie Cottbus. Beide Vereine beschäftigen sich immer wieder auch mit der zentralen Frage des Rechtsradikalismus in der Fankurve. Bei den Löwen glaubte man immer wieder, Rassismus eingedämmt zu haben. Jetzt entfacht wieder eine Diskussion, weil einige Fans anmerken, dass in der Kurve fragwürdige Rufe laut werden. Was sind Deine Erfahrungen. Haben wir mehr oder weniger mit Rechtsradikalismus und Rassismus in den Kurven zu kämpfen?
Meines Erachtens wird der Rassismus, den es in der Gesellschaft gibt, auch im Fußball wieder sichtbarer. Durch den massiven, politischen Rechtsruck der vergangenen drei Jahre kommen leider wieder Dinge zum Vorschein, von denen ich gehofft hatte, sie wären in den 90ern geblieben: In Hannover haben Fans vergangene Saison einen schwarzen Spieler mit sog. Affenlauten beleidigt, an anderen Orten mussten antidiskriminierende Faninitiativen ihre Aktivitäten stark zurückfahren wegen extrem rechter Bedrohungen.
Für Außenstehende wirkt der FC Energie Cottbus wie ein Verein, der ein besonders hohes Problem mit Rechtsradikalismus hat. Du hast Dich mit dem Verein beschäftigt. Wie hoch ist der Rechtsradikalismus beim FC Energie im Vergleich zu anderen Vereinen zu bewerten?
Im gewalttätigen Teil der Cottbusser Fanszene sowie in der Stadt selber gibt es ein massives Problem mit einem extrem rechten Milieu, in dem sich Neonazis, Hooligans, Kampfsportler und Rocker vermischen. Seit Jahren zeichnen sie sich für extrem rechte Gewalttaten verantwortlich, auch gegen eigene Fans des FC Energie. Zugleich bezieht der Verein langsam mehr Stellung und auch in Cottbus gibt es Fans, die sich gegen Diskriminierung engagieren. Sie sind jedoch wenige und stehen unter Bedrohung. Solche politischen Kämpfe sehe ich vielerorts.
Uns ist natürlich klar, dass wir nicht mit dem erhobenen Zeigefinger gegenüber anderen Vereinen auftreten können. Auch wir haben Probleme in der Fanszene. Aber ist es allgemein im Osten Deutschlands ein größeres Problem?
Neonazis und Hooligans gibt es bundesweit. Andere Schwerpunkte sind die Region vom nördlichen Baden-Württemberg bis nach Hessen, Nordrhein-Westfalen, auch Bremen und Teile von Bayern. Gleichzeitig sind die Hooligan- und Kameradschaftsstrukturen im Osten – insbesondere Sachsen und Umland – deutlich enger verzahnt als andernorts und die AfD erzielt höhere Wahlergebnisse.
Du hast einmal ausgesagt, dass bei manchen Vereinen Prävention und Partizipation keinen Effekt mehr auf die Gruppierungen hätten und Strafverfolgungs- und Justizbehörden gefordert sind. Was kann den von Seiten der Behörden getan werden?
Wir müssen immer die Bereiche Prävention, Früherkennung und Intervention unterscheiden. Prävention bedeutet, den positiven Teil der Fanszene zu vernetzen, zu sensibilisieren durch Angebote wie Bildungsfahrten und Abendveranstaltungen. Bei Früherkennung geht es darum, negative Entwicklungen zu erkennen und bestenfalls früh gegensteuern zu können. Im Bereich der Intervention wird gegen Vorfälle und Täter*innen eingeschritten und Betroffene unterstützt. Diese Täter*innen sind jedoch für Prävention nicht mehr erreichbar, auch strafrechtliche Konsequenzen können hier zum Tragen kommen.
Mir fällt auf, dass nicht nur in der Fanszene, vor allem in den sozialen Netzwerken, immer mehr rechtspopulistische Parolen geteilt werden. Oft bildlich und mit Zitaten versehen. Die Hintergründe sind vielseitig. Kann es sein, dass wir heutzutage mehr differenzieren müssen? Also Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus getrennt bewerten müssen?
Das glaube ich weniger. Denn grundsätzlich geht es darum, gegen menschenverachtende und antidemokratische Einstellungen vorzugehen, unabhängig davon, in welchem Gewand sie daherkommen.
In manchen Vereinen haben wir rechtsradikale Gruppierungen, die teilweise vom Verfassungsschutz unter Beobachtung stehen und eine hohe Gewaltbereitschaft aufweisen. In München ist Rechtsradikalismus deutlich passiver. Auch in der Kurve. Muss man da anders vorgehen und eher auf Prävention zurückgreifen?
Prävention bleibt immer wichtig, selbst in Kurven, in denen es vermeintlich aktuell kein Problem gibt. Zudem sollten die extrem rechten Kräfte stets kritisch beobachtet werden.
Ist Rechtspopulismus in der Zwischenzeit nicht die größere Gefahr? Auch die CSU bedient sich medienwirksam zumindest einigen sehr kritischen populistischen Aussagen und Schlagzeilen?
Die Reaktionen mancher Parteien – auch der CSU, die Wahlerfolge der AfD – sind natürlich fatal. Und viele haben noch immer nicht verstanden, dass es nicht hilft, die junge Partei nachzuahmen in ihren schrillen, nationalistischen und rassistischen Tönen. Denn Menschen werden immer das Original und nicht die Kopie wählen. Gleichzeitig stand die CSU selber auch schon immer sehr weit rechts und hat den Rechtsruck der letzten Zeit selber mit forciert.
Die Schauspielerin Senta Auth kandidierte für den Verwaltungsrat. Sie hat in ihrer öffentlichen Chronik auf Facebook sehr viele fragwürdige rechtspopulistische Artikel geteilt. Und auch die Front Nationale und die AfD geliked. Besteht denn die Gefahr, dass solche prominenten Münchner den Rechtspopulismus in seiner Gesamtheit verharmlosen?
Ja, die besteht. Denn wie gesagt: Es gilt, gegen antidemokratische und menschenverachtende Politiken als Ganzes vorzugehen, unabhängig davon, in welchem Gewand sie daherkommen.
Wie hoch ist denn die Hemmschwelle vom Rechtspopulismus zum Rechtsradikalismus? Es gibt in den sozialen Netzwerken vermehrt User, die eine klare Linie fahren. Das heißt: Sie werfen aus ihren Netzwerk-Listen alle heraus, die auch nur annähernd fragwürdige Beiträge teilen. Ist es sinnvoll, diesen Dialog so zu beenden oder treibt man „Sympathisanten“ von rechtspopulistischen Beiträgen damit nicht noch mehr in die rechte Ecke?
Die Grenze ist fließend, weshalb ich sowieso eher von einer gesamten extremen Rechten sprechen würde, die sich in Nuancen und Strategie unterscheidet, aber letztlich in ihrem nationalistisch-völkischen und autoritären Denken verbunden ist.
Sind Rassismus und Vorurteile nicht in gewisser Weise die hilflose Antwort auf Unbekanntes und nicht Begreifbares? Homophobe Äußerungen fallen ja häufig recht unbedarft, sind aber im Endeffekt genauso falsch …
Das gilt höchstens für Jugendliche und zeigt zugleich, wie tief manches diskriminierende Wort in unserer Alltagssprache verankert ist. Aber die Debatten um Diskriminierung, auch Homophobie, im Fußball haben eine so lange Geschichte, dass sich meines Erachtens niemand mehr hinter „Unwissen“ verstecken kann. Auch insgesamt finde ich es wichtiger, Betroffene zu unterstützen als sich über Ausreden von Täter*innen zu unterhalten.
Im Stadion in München wurde ein Fan abgeführt, weil er auf dem Zaun saß. Später wurde dann der Presse mit Nachdruck versichert, dass es um ein rechtsradikales Tattoo ging und das der Grund war. Dabei ging es um die Darstellung eines rechtsradikalen, verstorbenen Sängers aus England. Das war aber laut der Polizei nicht der Grund für die Personenüberprüfung. Ist es denn sinnvoll, in so einem Fall das derart zu thematisieren? Die Szene und auch der verstorbene Sänger bekommen damit doch in gewisser Weise Aufmerksamkeit?
Ich kenne den Fall und die konkreten Vorfälle leider nicht. Sollte es sich um Ian Stuart Donaldson – den ehemaligen Sänger der extrem rechten und international bekannten Band Skrewdriver – gehandelt haben, darf dies natürlich nicht im Stadion – oder anderswo – gezeigt werden. Er war auch Gründer des Netzwerkes „BloodandHonour“, in dessen deutschen Umfeld sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ – also extrem rechter Terror – bewegte.
Unter den Löwenfans wird immer wieder diskutiert, was man in der Kurve tun kann, wenn rassistische Sprüche fallen. Die einen sagen, man soll diese Menschen direkt ansprechen, andere meinen, man soll Ordner ansprechen, die sich dann darum kümmern. Die große Masse an Ordnern und Securities sehe ich jedoch als deutlich überfordert an. Was ist denn Deiner Erfahrung nach zweckmäßig im Hinblick auf die Fankurve der Löwen?
Zivilcourage im Stadion ist wichtig, muss aber natürlich abgewogen werden. Ich würde keiner Kleinfamilie empfehlen, gegen zwanzig Nazihools vorzugehen. Dann kann immer noch der Ordnungsdienst oder die Fanbetreuung, auch die Polizei, informiert werden. Diese wiederum müssen natürlich geschult werden, damit sie adäquat damit umgehen. An anderen Standorten des Profifußballs – z.B. in Bremen und Dortmund – gibt es dafür gute Beispiele. Denn letztlich gibt es Gesetze, mit denen rassistische Parolen verfolgbar sind. Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen bei Menschenverachtung.
Kann denn der Verein mehr im Hinblick auf Prävention tun? Man sieht ja immer wieder Spruchbänder. Zum Beispiel auch am Trainingsgelände. Sollte Verein und auch Verband nicht aktiver vorgehen?
Alle Vereine sind aufgerufen, über Symbolpolitik hinauszugehen. Regelmäßige Diskussionsabende und pädagogisch fundierte Gedenkstättenfahrten sind gute Beispiele für Maßnahmen, die regelmäßig und langfristig durchgeführt werden können. Das Münchner Fanprojekt hat hier gute Ansätze.
Für uns als Fanzine ist es schwer, mit solchen Themen umzugehen. Was können wir als Löwenmagazin tun, um aktiv positiv auf die Kurve und die Fanszene einzuwirken? Mit populistischen Schlagzeilen, wie es oft die Presse tut, ja wohl eher nicht, oder?
Wenn Ihr keine Themen verschweigt, stattdessen Position bezieht und kritische Dinge ansprecht, macht Ihr sehr viel richtig.
Vielen Dank für das Gespräch …
Danke für das Interview!
Fan-Experte und Autor Robert Claus
Lebenslauf:
Robert Claus wurde 1983 in Rostock geboren. Er absolvierte 2011 den Abschluss als Magister der Europäischen Ethnologie und Gender Studies an der Humboldt-Universität Berlin. Bekannt ist er vor allem durch seine Arbeit in der „Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS gGmbH) in Hannover.
Weiterführende Links:
- Homepage der KoFaS: http://www.kofas-ggmbh.de/
- Homepage Robert Claus: http://robertclaus.de/
Fan-Experte Robert Claus über den rechtsextremen Backlash unter deutschen Fußballfans
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- Sollte man mit Menschen, die rechtspopulistische Beiträge in den sozialen Netzen teilen, in der Diskussion bleiben oder nicht? Sollte man seine Freundesliste vielleicht sogar “aufräumen”?