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Politik in der Kurve – warum aktive Kampagnen gegen Diskriminierung genau das nicht sind

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Schreibt man über das Engagement aktiver Organisationen oder Kampagnen, die sich gegen Rassismus, Homophobie oder Frauenfeindlichkeit richten, dann erlebt man immer wieder, dass sich Fans darüber aufregen. Mit der Begründung Politik hätte in der Kurve nichts verloren. Weder von der einen Seite, noch von der anderen. Das ist entweder eine völlig falsche Auffassung dieses Engagements oder aber ein gezielter Manipulationsversuch von politischen Extremisten.

Ein Kommentar

Der römische Kaiser Lucius Aurelius Commodus, Sohn von Mark Aurel, veranstaltete große Spiele um das Volk auf seine Seite zu bringen und den Senat politisch auszustechen. Er wusste, dass die Emotionalität des Wettkampfes ihm Sympathien einbringen würde.

Peter O´Connor war ein irischer Weitspringer. 1906 gewann er in Athen die Silbermedaille. Dem Olympiasieger stiehlt er die Show. Als für O´Connor die britische Fahne gehisst wird, klettert der Weitspringer den Fahnenmast hinauf. Anstatt der britischen Fahne schwenkt er dort oben nun die grüne Fahne. Demonstrativ, als Symbol für die Unabhängigkeit Irlands.

Die politische Instrumentalisierung des Sports nahm seinen Höhepunkt unter Adolf Hitler. Nazideutschland lockerte Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Juden, die politische Opposition und die Presse. Um einem Boykott anderer Länder vorzubeugen. Dabei hätte NS-Regime auf keinen Fall die Olympischen Spiele ausrichten dürfen. Alleine die Nürnberger Rassegesetze von 1935 waren nicht mit dem Olympischen Grundgedanken vereinbar. Für Hitlers Propaganda sind die Olympischen Spiele perfekt. Bei der Bevölkerung will er Loyalität und Identifikation erreichen. Nach außen präsentiert er Nazi-Deutschland wenige Jahre vor dem Krieg als friedliches, soziales und vor allem wirtschaftlich aufstrebendes Land.

1972 nahm ein palästinensisches Terrorkommando die israelische Mannschaft als Geiseln. Die Aktion endete in München in einem Blutbad. Man wollte eine politische Botschaft an die Welt senden. Man forderte die Freilassung von Palästinensern und RAF-Terroristen. 17 Menschen inklusive den Geiselnehmern kamen ums Leben.

Russische Truppen marschieren im Dezember 1979 in Afghanistan ein. Ein Jahr später boykottieren die USA aufgrund dieses Einmarsches die Olympischen Spiele in Moskau. 40 Staaten schließen sich dem Protest an. Darunter auch Deutschland.

1984 boykottierte die Sowjetunion die Olympischen Spiele in Los Angeles. Der politische Wettbewerb zwischen Sozialismus und Kapitalismus wirkte sich ungemein auf den Sport aus und sorgte für ein sportliches Wettrüsten, welches auch das Doping im letzten Jahrhundert stark gefördert hat.

Nur ein paar wenige Beispiele. Der Sport war für politische Botschaften schon immer eine perfekte Bühne. Bis heute. Auch der Salut der türkischen Fußball-Profis zur Zeit des Einmarsches türkischer Truppen in Syrien sind eine politische Botschaft. Und auch die Affäre um Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan ablichten ließen, beschäftigt die Menschen. Vor allem weil Özil mit einem Trikot die direkte Verbindung zum Sport aufbaut.

Vor allem Diktatoren wissen um die Bedeutung des Sports als Kommunikations- und Propagandaplattform. Viele Fans fordern deshalb: Sport und Politik müssen strikt getrennt werden. Politik hat im Sport nichts verloren. Die Politik gehört auch nichts ins Stadion. Und nicht in die Kurve. Doch so einfach ist das nicht.

Zum einen gibt es heutzutag eine sehr kritische, aber klar erkennbare Wechselbeziehung. Längst ist es nicht mehr die Politik, die den Sport für sich nutzt, sondern auch andersherum. Das Internationale Olympische Komittee diktiert Olympia-Bewerbern schamlos Forderungen, wie zum Beispiel finanzielle Vorteile und Steuerbefreiungen. Beim Fußball schreibt die FIFA genau vor, wie groß Stadien sein müssen, welche Hotelkapazitäten ein Bewerber schaffen muss. Und auch der DFB hat in der Stadionfrage Forderungen, die nicht nur die Klubs sondern auch oft die Städte oder Länder betreffen. Sportfunktionäre zeigen sich zudem gerne staatsmännisch. Immer wieder betont man das Engagement für Menschenrechte und Völkerverständigung. Der ehemalige IOC-Präsident Samaranch war sogar der Meinung, dass das Internationale Olympische Kommittee den Friedensnobelpreis verdient habe. Schon alleine deshalb ist Sport und Politik schwer trennbar. Und natürlich ist es eine Diskussion wert, inwiefern die Verflechtung zwischen Sport und Politik gut ist und wo sie grenzwertig erscheint. Denn der Sport kann durchaus gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, sei es zum Beispiel bei der Integration. Muss er ein Stück weit vielleicht sogar.

Die Kritik einiger Fans betrifft aber dann doch nicht diese Wechselbeziehung. Sondern zum Beispiel Organisationen, die sich gegen Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit oder sonstige Diskriminierung engagieren. “Keine Politik – weder von links noch von rechts”, schreibt ein Fan unter einem Beitrag des Löwenmagazins über das Engagement der Löwenfans gegen Rechts. Und einige andere pflichten ihm bei. Doch der Kampf gegen verfassungsfeindliche Tendenzen ist keine politische Stimmungsmache und auch keine direkte politische Einmischung. Sondern eine Bürgerpflicht. Das Grundgesetz ist ein wichtiges Gut. Und da spielt es keine Rolle ob es um unsere Kinder im Kindergarten oder in der Schule geht. Um öffentliche Plätze, Konzerte, Bürgerversammlungen oder eben auch um den Sportverein oder die Fankurve. Das Engagement gegen Diskriminierung ist keine politische Stimmungsmache und es ist auch keine Politik in der Kurve. Im Gegenteil. Es will verfassungsfeindliche politische Aktionen verhindern und darüber aufklären. Wer Sport und Politik strikt trennen möchte, der sollte sich um andere Bereiche sehr viel mehr Gedanken machen. Aber darum geht es dem oben genannten Fan vermutlich nicht wirklich.

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