Rekord-Löwen, Löwen-Helden und Löwen-Legenden. Es gibt viele Bezeichnungen, die von der Presse gerne verwendet werden. Um einem Interview oder einem Artikel eine besondere Note zu verleiten. Das birgt immer dann Gefahren, wenn die Heldenstilisierung für klubpolitische Zwecke missbraucht wird.
“Wo immer Helden verehrt werden, stellt sich die Frage, wer das braucht – und warum”, meinte ein deutscher Philosoph und Soziologe nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center. Es ist eine spannende Frage. Braucht ihr für euch persönlich Helden? Es wird wohl unterschiedliche Antworten geben. Die einen benötigen sie, die anderen sympathisieren mit ihnen, und wiederum andere benötigen keine Helden. Vor allem Kinder haben häufig Idole. Das gehört zum Entwicklungsprozess dazu. Aber auch Erwachsene pflegen gerne ihre Vorliebe für Helden.
Zeitgemäßer Heroismus?
Krisen gelten als gute Zeiten für Helden. Dieter Thomä von der Universität St. Gallen plädiert für einen “zeitgemäßen Heroismus”. Doch er spricht von einem ganz bestimmten neuen Typ von Helden. Von Helden, die sich für Menschen- und Bürgerrechte einsetzen, so wie zum Beispiel die pakistanische Frauenrechtsaktivistin Malala Yousafzai.
Eine Heroisierung gibt es auch für autoritäre Staatsmänner. Trump, Putin oder Erdoğan werden von ihren Gefolgsleuten heroisiert. Mit immensen Gefahren. Die Heroisierung schafft eine Plattform für Manipulation. Denn Staatsmänner werden weniger hinterfragt, wenn sie bereits zu Helden gemacht wurden.
Und auch in Sportstadien werden für viele Menschen Helden gemacht. Sportstars werden zu Helden, wenn sie Großes leisten. Vergleichbar ist das mit autoritären Staatsmännern nicht. Und auch nicht mit Bürgerrechtlern, die teilweise ihr Leben aufs Spiel setzen.
Heroismus mag für viele Menschen wichtig sein. Und tatsächlich scheint man in unserer Gesellschaft Vorbilder zu benötigen. Oder gar Helden.
Problemlösung durch Heldentum?
Doch löst man aktuelle Probleme unserer Gesellschaft auf heroische Weise? Der Freiburger Soziologe Ulrich Bröckling sieht in einer überdimensionierten Heroisierung eine Gefahr. In jeder Heldenverehrung würde eine gewisse Demutshaltung stecken, meint Bröckling. Was dazu führt, dass man selbst untätig bleibt, “weil es Helden gibt, brauche ich mich nicht aus meinem Sessel zu bewegen.” Ein immenses Problem. Statt selbst zu handeln, wird der Ruf nach Helden groß. Bei vielen gesellschaftlichen Herausforderung bedarf es eben nicht nur eines Helden. Die Herausforderungen sind nicht, überspitzt dargestellt, mit der Tötung eines Drachen gemeistert.
„Unglücklich das Land, das keine Helden hat … Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“
Bertold Brecht
Die Helden des TSV 1860 als identitätsstiftender Akt
Auch beim TSV 1860 München gibt es eine intensive Heldenverehrung. Die Helden von 1966, die Derby-Helden von 2000, oder die Aufstiegshelden von 1994. Einzelne Sportler als Helden oder auch Legenden zu bezeichnen, ist nicht unüblich. Für viele Fans ist das wichtig. Sie wollen Autogramme, ein gemeinsames Foto, oder einfach nur eine Begegnung. Diese Helden- und Legenden-Stilisierung kann zu einem identitätsstiftenden Akt werden. Man kann sich mit dem TSV besonders identifizieren, weil Held X oder die Legende Y die Löwen in besonderer Weise präsentiert hat. Weil sie für einstige Erfolge stehen.
Junge Löwenfans hören sie oft, die Namen von Helden und Legenden. Allerdings weniger in Form von Erinnerungen an ihre einstige Leistung, sondern vielmehr, weil sie sich zur aktuellen Lage beim TSV 1860 München äußern. Und das kommt nicht immer gut an. Es kann sogar zu eine Entheroisierung möglich. Der einstige Held wird kritischer gesehen. Das erfahren viele bekannte Sportler, die sich zum Beispiel auf die Seite von Russland stellen.
Die Helden des TSV 1860 als klubpolitisches Sprachrohr
Auch bei den Löwen ist durchaus zu beobachten, dass einige Helden von einst nicht mehr “der große Spieler aus erfolgreichen Tagen” sind, sondern diejenigen, die sich vor einen klubpolitischen Karren spannen lassen. Nicht in Form eines Ehrenamtes oder sonst einer aktiven Rolle. Sondern als Sprachrohr. Als Zeuge einer erfolgreichen Zeit die vor allem eines soll: die Sehnsucht nach genau dieser Zeit wecken. Ob das jedem ehemaligen Fußballer so klar ist, muss bezweifelt werden.
Wir neigen dazu die Vergangenheit zu verklären. “Früher war mehr Lametta” meinte einst Opa Hoppenstedt in einem Loriot-Sketch trotzig. Statt sich positiv an damals zu erinnern, meckert er über das hier und jetzt. Wer jedoch die Zukunft gestalten will, der tut gut daran die Vergangenheit als Geschichte zwar liebzuhaben und auch die Helden zu würdigen, aber ihr nicht hinterher zu trauern. Helden bleiben nur Helden, wenn sie nicht griesgrämig immer wieder erwähnen, dass früher alles besser war und heute nichts an die Zeit von damals erinnert. Fußball hat sich weiterentwickelt. Ob positiv oder negativ sei mal dahingestellt. Ein 1966 wird es für die Löwen nie wieder in dieser Form geben. Das muss man akzeptieren. Und sich neue Ziele setzen.
Die Helden von einst gehören zum Beispiel auf das Fanfest eingeladen. Wo Opa und Oma ihren Enkeln erklären können – “das waren unsere Helden früher und das sind sie bis heute”. Das gibt Stoff für Geschichten bis nach Hause. Ob diese Helden auf eine Podiumsdiskussion gehören, wo sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Profifußball-KGaA als neuer Kandidat für den Verwaltungsrat des e.V. präsentiert, muss bezweifelt werden. Vor allem dann, wenn sie selbst jahrelang nicht aktiv beim TSV waren. Zweifelsohne dürfen sie eine Meinung haben. Und sie sollen sie auch kundtun. Aber sie sollten sich nicht in klubpolitische Stimmungsmache pressen lassen. Sie sollten die Erinnerung an ihre Geschichte und ihre Heldentaten nicht missbrauchen lassen. Weder von Funktionären noch von Journalisten.