Heimspiel des TSV 1860 München gegen die Spielvereinigung Unterhaching. Unter normalen Umständen wäre im Löwenstüberl die Hölle los. An den Tischen sitzt eine einzige Person: Ich.
Der Zapfhahn ist stillgelegt. Dennoch bietet Löwenwirt Bene Lankes mir ein Bier an. Aus der Flasche. Fassbier gibt es momentan nicht. Logisch. Immerhin gibt es keine Gäste. Der beliebte Löwen-Treffpunkt ist tot.
„Genau zwei Monate hatte ich hier im Löwenstüberl, wo alles normal war“, meint Bene. Dann kam die Winterpause. Und dann Corona. Er setzt sich zu mir. Öffnet sich selbst ein Hacker Pschorr und stößt mit mir an.
Ich schaue mich um. Keine Fans sitzen an den Tischen. Niemand ist hinter der Theke und bedient den Zapfhahn. Ich schaue auf die Uhr. Eineinhalb Stunden bis zum Anpfiff: „Hier wäre jetzt die Hölle los!“
Freitagsspiele sind Bombe – eigentlich
Bene nickt: „Freitagsspiele sind Bombe. Mittags um 12 Uhr wären hier die ersten Löwen, die sich für das Spiel einstimmen. Ich hätte jetzt einen Hendl-Grill aufgebaut, würde vielleicht Haxn anbieten. Das wäre geil. Aber es ist nicht so und es wird wohl lange Zeit nicht so sein.“
Dennis Erdmann schaut kurz rein. Grinst, blickt auf die „to go“-Behälter und geht dann in Richtung Bus. Der wird die Mannschaft ins Grünwalder Stadion bringen.

Was ist drin? Interessiert mich. Nix. Sie müssen ja erst noch spielen … am Ende gewinnen die Löwen mit 3:1. Das weiß ich aber zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht.
„Ein Entgegenkommen des TSV 1860 München“, erklärt Bene. Die Spieler essen vor dem Spiel hier im Löwenstüberl und nach dem Spiel gibt es Essen „to go“. Darauf hat man sich für eine bestimmte Anzahl von Spielen geeinigt. „Ich muss die Pacht also nicht in Geld zahlen, sondern kann sie in Arbeit leisten.“ Ansonsten läuft hier aber gar nichts. Keine Jugendspiele, keine Gäste bei Heimspielen, keine Stammtischler. Nichts.
Bereut hat er es nicht …
Es erfüllt mich mit Wehmut. Ich erinnere mich an den Sommer. An die gemütliche Sitzecke. An ein Weißbierfrühstück. Hast Du es bereut, dass Du das Löwenstüberl übernommen hast? Zwei Monate nur … dann kam Corona.

Bereut hat er es nicht, dass er Löwenwirt wurde. „Jede Gastro läuft Scheiße. Die Kosten sind einigermaßen überschaubar. Ja, es kostet mich jeden Monat Geld. Aber es gibt eben keine andere Option. Das Löwenstüberl hat enorm Potential, das weiß ich. Aufgeben werde ich nicht. Die Zeit danach wird es geben und in der Gastro ist dann die Frage, wer überlebt hat.“
Hört sich jetzt nicht so schlimm an, denke ich. „Überschaubare Kosten?“
Überschaubar vielleicht. Aber dennoch Kosten. Wo man eigentlich Gewinn machen will. „Ja, das Löwenstüberl ist ein Draufzahlgeschäft während Corona“, gibt Bene zu. Bei Thomi´s Kuchl, seinem zweiten Standbein, ist das anders. „Dort sind die Mitarbeiter in Kurzarbeit, aber ein wenig Catering geht während Corona. Ich hab ein Mittagsgeschäft. Die Jugend von Sechzig bekommt jeden Mittag und Abend zu essen, ich habe zudem andere Kunden, die ich beliefere und das Abholgeschäft is mal so und mal so.“ Bene schafft mit seinem Thomi´s Kuchl gerade so die Null. Voraussetzung: Es sind gerade keine Anschaffungen zu tätigen. Er gibt aber auch zu: „Ohne die November- und Dezemberhilfen des Staates hätte ich mir schon Geld holen müssen. Da muss nur etwas kaputt gehen. Verschleiß hast du ja auch.“ Und im Löwenstüberl? Richtig, da zahlt er drauf. Gewinn macht er weder mit dem Löwenstüberl noch mit Thomi´s Kuchl.
„Wenn die Zeiten wieder normal sind, wird die Gastro boomen“
Das klingt überhaupt nicht frustiert, erkenne ich. Aber es klingt frustrierend. Ein Widerspruch? Mag sein. Ist es aber nicht. Es ist hart, als Wirt während Corona-Zeiten. Weil man nicht weiß, wie es weiter geht. Es ist frustrierend, keinen Gewinn machen zu können. Viele zahlen drauf. Aber es kommt bei Bene nicht so rüber. Weil er nach vorne schaut?
„Wenn die Zeiten wieder normal sind, wird die Gastro boomen“, behauptet der Löwenwirt. „Und ich hab drauf Bock. Auf die Zeit freue ich mich. Ich weiß, was hier geht …“ Wenn man endlich die Pandemie im Griff hat und wieder Gäste in Wirtshäusern erlaubt sind. „Bier zu trinken und mit Leuten reden. Real und nicht virtuell“, das vermisst Bene.
Und auch ich vermisse es. Deshalb freue ich mich, dass der Löwenwirt mit mir anstößt. Bier schmeckt eben vor allem in Gesellschaft. Mit Freunden. Vor allem natürlich mit Löwenfreunden. Als ich ihm zuhöre, bin ich durchaus verwundert. Er strahlt einen unglaublich positiven Optimismus aus. Er schaut nach vorne. Ja, die Zeiten sind schwierig, aber kleinkriegen durch Corona lässt er sich nicht. Das spürte man auch im Sommer. Als er sich mächtig ins Zeug legte.

Die Regierung hat die Wirtsleute ermutigt, in den Biergarten zu investieren. „Eine hohe vierstellige Summe habe ich in den Biergarten investiert“, erklärt Bene. Als im Sommer 2020 für eine Zeit wieder Gäste zugelassen waren. Ein Zelt mit Wänden, Heiz-Vorrichtungen. Bene hoffte, dass man den ganzen Winter im Biergarten sitzen kann. Doch der zweite Lockdown machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sein Steuerberater kümmert sich aktuell darum, dass er diese Investition zu hundert Prozent absetzen kann. „Geld ist allerdings noch keines geflossen“, lacht Bene. Wirklich witzig ist es nicht. Aber er versucht, es positiv zu sehen und setzt auf Hoffnung statt auf Frustration. Dass er in dieser Saison noch ein Spiel sehen kann, glaubt er aber nicht. „Ich bin mittlerweile realistisch. Mitte Mai, Anfang Juni wird man wahrscheinlich wieder Gäste empfangen dürfen. Dann ist die Saison aber rum.“
Die Gastronomie als Sündenbock?
Wäre es nicht viel sinnvoller, die Gastronomie aufzumachen? Ich erinnere mich an die Beschränkungen im Sommer 2020. War das nicht viel kontrollierbarer? Beim Vorbeifahren am Grünspitz habe ich viele Menschen gesehen. Die sich mangels Lokalitäten eben dort trafen. Bier tranken. Und auch auf anderen Plätzen in München soll es so sein. An der Isar. Oder im Englischen Garten. Schwer kontrollierbar.
„Viel kontrollierter, ja!“, meint Bene. „Alleine was in München am Gärtnerplatz los ist. Hier hätte man es deutlich mehr unter Kontrolle.“ Er schaut sich um im Löwenstüberl. „Außerdem würde sich der Staat die ganzen finanziellen Hilfen sparen können.“ Unsummen. „Soo viel Geld. Das ist wirklich viel Asche!“ Es sei vielleicht von den Politikern auch eine Art Angst. „Ischgl, Ischgl … jeder sprach immer von Ischgl und befürchtet deshalb ähnliche Probleme in den normalen Wirtshäusern.“ Bene gibt zu, dass der Alkohol enthemmt. „Aber die Gastronomie als Sündenbock. Das geht einfach nicht.“
Bene vermisst auch die Eltern der Jugendspieler. „Hier ist die Bude bei Jugenspielen voll“, meint er. Und auch beim Trainingsbetrieb des Löwennachwuchses nutzen die Mamas und Papas der Löwen gerne das Löwenstüberl. Aber momentan eben nicht. Im Oktober und November 2019, als er aufmachte, durfte er eine Kostprobe erleben, was möglich ist. „Da hast du am Wochenende sieben oder acht Jugendspiele und bist von 7 Uhr morgens bis 21 Uhr abends beschäftigt. „Kaffee, Wurstsemmeln, Bier … das ist ein Kommen und Gehen gewesen.“
Von den Heimspielen ganz zu schweigen. Am heutigen Freitag spielt der TSV 1860 München gegen die Spielvereinigung Unterhaching. Ich schaue aus dem Fenster. Es ist still draußen auf dem Trainingsgelände. Der Löwenbus ist bereits abgefahren. Zum Stadion. Ich blicke zurück auf den Löwenwirt.
„Der Sommer war für Corona-Verhältnisse super“, erklärt Bene. „Für Corona-Verhältnisse!! Ich will mal einen Sommer hier erleben ohne Corona. Da machst hier einen Grillabend, lässt Musik spielen …“ Tatsächlich ist es so, dass der Löwenwirt bislang noch keinen Sommer ohne Corona erlebt hat. Im Sommer hat er dennoch kräftig die Werbetrommel gerührt. Hatte Bands hier. Roland Hefter hat gesungen. Alles unter strengen Coronamaßnahmen und immer nur 10 Personen an einem Tisch.

„Ende August, Anfang September kam ich aus dem Urlaub zurück. Und dann war hier Weltuntergangsstimmung.“ Dann war alles dicht und nichts mehr möglich. „Ich lasse hier Geld liegen während Corona. Aber daran denke ich nicht. Es ist wie es ist“, meint er. Es geht ums Überleben für die Zeit nach Corona.“
Nicht jeder wird als Gastronom überleben …
Bene kritisiert vor allem, dass alle immer gegeneinander arbeiten. „Das Lagerdenken ist so schlimm geworden. Ich meine, wir sind ja erprobt im Lagerdenken bei Sechzig und wissen: das zerstört im Grunde alles!“ Am Anfang hätten viele zusammengearbeitet, hätten Solidarität gezeigt. Mit der zweiten Welle verschwand diese Art von Denken. „Auch unter den Wirten haben wir zusammengearbeitet, mittlerweile macht jeder sein eigenes Ding.“ Als Beispiel nennt er den Schottenhamel, der für die Branche als Vorreiter seine Versicherung verklagte. Es wäre ein Präzidenzfall für Gastronomen gewesen. Am Ende, kurz vor dem Urteil, ist man einen Vergleich eingegangen. „Wahrscheinlich ging er da viel besser raus.“
Mit dem Herzen ein Unternehmer für Sechzig
Von den Unternehmern für Sechzig hält Bene viel. Er ist Mitglied und findet gut, dass der Förderverein selbstständig ist. Man hilft sich und macht Geschäfte untereinander“, erklärt er. Der TSV München von 1860 e.V. würde maßgeblich davon profitieren. „Weil die Unternehmer in den Verein spenden, was im Übrigen auch wieder den Profis zugute kommt. Zudem seien viele der Mitglieder auch bei der KGaA als Förderer oder Sponsor tätig. Gerade auch beim 12. Mann-Ticket hatten die Unternehmer für Sechzig ebenfalls einen großen Verdienst. Die Unternehmer für Sechzig zeigen, wie es bei den Löwen laufen kann. Gemeinsam laufen kann.
Schwierig, wenn viele Meinungen aufeinander treffen. „Vorher hast Du das Lagerdenken bei den Löwen angesprochen. Wie ist das hier im Stüberl?“, frage ich.
Das Löwenstüberl ist ein neutraler Ort. Nicht jeder hat das anfänglich verstanden oder akzeptiert. „Ganz schön grün-gold hier drinnen“, meinte ein älterer Löwe in der Anfangsphase. „Grüne Vorhänge und goldener Wandstuck“, hatte er kritisiert. Bene hatte damals genickt: „Ja, und weiße Wände und blaue Sitzkissen. Es ist alles hier.“ Viele sind zum Meckern da. Aber es werden weniger. Das Löwenstüberl ist ein Ort für jung und alt. Für alle Meinungen. „Sechzig ist im Aufbruch und das wirkt sich auch positiv aufs Löwenstüberl aus. Die Dauernörgler werden weniger.“
Die Löwen haben den richtigen Wirt gefunden. Jetzt muss man schnellstmöglich die Coronakrise bewältigen. Damit man unter Löwen endlich wieder anstoßen kann. Das Löwenstüberl ist definitiv der richtige Ort dafür.