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Jetzt oder nie – mit der Brechstange in die 2. Bundesliga?

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Ein Kommentar zur schnelllebigen Gesellschaft. Zu Game of Thrones. Zu Netflix. Zu Facebook. Und natürlich zum TSV 1860 München in der Dritten Liga.

Unsere Gesellschaft ist schnelllebiger denn je. In den sozialen Netzwerken überfliegen wir Nachrichten. Wir konsumieren im Schnelldurchlauf. Auf Netflix gibt es mittlerweile eine Funktion, die Filme schneller laufen lässt. Spart Zeit. Ohnehin wird unser Gehirn ständig mit Input gefüttert, den wir selbst nicht erleben. Und der im Endeffekt weder zu unserem Erfahrungsschatz beiträgt, noch uns als große Erinnerung im Alter bleibt. Werden wir überhaupt noch weise und erfahren? Durch den medialen Input sicherlich nicht. Wir erleben weniger selbst, sondern lassen leben. Durch die Timeline der sozialen Netzwerke. Durch Filme oder durch Serien. Sind wir gelangweilt, überspringen wir Szenen. Schauspieler sind austauschbar geworden. Bei der Serie Game of Thrones wurden in acht Staffeln insgesamt 11 Charakter irgendwann neu besetzt. „The Mountain“ sogar zwei Mal. Fällt kaum einem auf.

Auch der Fußball hat sich zu einer Schnelllebigkeit entwickelt. Eine Mannschaft in Ruhe entwickeln lassen? Dafür haben weder Verantwortliche noch Fans Zeit. Klappt es nur minimal nicht, wird Verstärkung gefordert. Als ich jünger war, war es für mich wichtig, mich mit einzelnen Spielern identifizieren zu können. Sie zu kennen. Zu sehen, wie sie sich weiterentwickeln und ihre Charaktere zu beobachten. Und auch heute fordern wir Charakter auf dem Platz. Gestandene Fußballer wie einst. Seltsamerweise sind es jedoch genau wir, die eine derartige Charakterisierung nicht zulassen. Weil wir mit der Brechstange unbedingt nach oben wollen. Weil wir, wie bei Netflix, gerne auf „Schnelllauf“ drücken. Oder sogar einzelne Sequenzen überspringen. Wer Fan von Türkgücü ist, der musste im Winter 8 „Charaktere“ aus seinem Kopf streichen. Und neun Namen neu lernen. In der gesamten Saison sind es mittlerweile 23 Neuzugänge und 21 Abgänge. Ziel: der Aufstieg mit der Brechstange.

Einen Fußball-Klub wachsen sehen. Das wird immer seltener. Ohne Nachwuchsarbeit, mit einer zusammengekauften Mannschaft nach oben zu kommen ist möglich. Auch ohne Infrastruktur, ohne Nachwuchsleistungszentrum und ohne Stadion. Auf Schnelldurchlauf schalten, alle Ausnahmeregelungen nutzen um möglichst schnell nach oben zu kommen. Wer noch Geld in Basis-Arbeit investiert, wird bestraft. Nachwuchsmannschaften kosten Geld. Für mich unverständlich, dass man sich von Seiten des DFB da nicht klarer positioniert. Eine gute Nachwuchs-Basis aufzubauen dauert Jahre. Das ist anders als die Ausnahmeregelung „Rasenheizung“, die man mal schnell in der nächsten Saison einbauen kann. Nur um die Richtlinien zu erfüllen ein Gebäude hinzuklatschen und ein paar Kinder-Mannschaften zu melden, das ist keine Basisarbeit.

1860 gehört in die Bundesliga. Ein Satz, der den Löwen schadet. Nicht, weil er nicht wahr ist. Sondern, weil er zu einer gezwungenen Manifestation wird. Und man merkt deutlich. Erst jetzt, wo sich die Führungsriege des TSV 1860 München von dieser Brechstangen-Methode löst, läuft es deutlich besser. Ja, die Löwen sind sogar am Gesunden. Wenn auch nur langsam.

Der Weggang von Aaron Berzel im vergangenen Sommer hat viele Fans geschmerzt. Und das ist gut so. Wäre das der Fall gewesen, wenn man sich ganzer 21 Spieler im Laufe der Saison entledigt hätte? Wohl eher nicht. Weggegangen ist im Winter Pusic. Der ohnehin nicht bei den Löwen angekommen war. Verpflichtet hat man zwei Verstärkungen. Ansonsten setzt man weiterhin auf die gewachsene Mannschaft. Natürlich sind Spieler auswechselbar. Es ist ein Mannschaftssport. Aber jeder bringt sich mit seinem Charakter ein. Und die Gesamtmischung verschiedener Persönlichkeiten muss zu einem Team wachsen. Deshalb machen die Löwen im Moment so viel Freude.

Mit der Brechstange in die 2. Bundesliga? Nein. Die Funktionäre machen einen guten Job. Und wir Fans? Wir sollten vor allem den IST-Zustand genießen. Die Entwicklung der Mannschaft. Schöne Spiele. Auf Schnelldurchlauf kann man bei Netflix drücken. Und durchscrollen kann man bei Instagram oder Facebook. Im Fußball wollen wir doch alle Entwicklung sehen. Sportliche Entwicklung. Keine gekaufte.

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