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“I bin a Sechzga” – Harald Zapfe

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Die Fans des TSV 1860 München sind spannend und schier unerschöpflich. Der letzte Sechzger dieser Serie kam nicht auf uns zu, er wurde von uns gefunden. Genauer gesagt sein Laden in der Fraunhoferstraße. Als Blauer kann man da gar nicht vorbei gehen, ohne sich die Nase an der Ladenscheibe platt zu drücken. Dabei erkannte man erst mit dem zweiten Eindruck, welche Schätze sich da zwischen vermeintlichem Trödel hinter der Scheibe verbergen. Und der zweite Eindruck machte so richtig neugierig. Also Maske auf und rein in den Laden.

Es war eng und etwas muffig, aber das lag wohl eher an der Maske. Könnte auch mal wieder gewaschen werden. Der TSV 1860 München ist in diesem Laden allgegenwärtig. Von der Anstecknadel bis zum Originaltrikot mit Unterschriften der Spieler aus einer vergangenen Zeit. Hier scheint man einfach alles zu finden. Und wer nicht sucht, der entdeckt Dinge von denen er bis dato nicht ahnte, dass es diese überhaupt gibt. Und überall ist der Löwe drauf. Mit großen Augen und hoffentlich geschlossenem Mund steht man da und schaut und staunt. Wie ein kleines Kind, das zum ersten mal auf dem Dachboden der Großeltern auf Entdeckungsreise geht. „Vogelwuid“. Und genauso vogelwuid geht es weiter. Im Laden war „nur“ der Compagnon des eigentlichen Ladenbesitzers anzutreffen. Aber wir kommen wieder. Beim zweiten Besuch war er dann da, unser heutiger „IBAS“. Wie dürfen vorstellen: „Harald Zapfe“, oder der „Zapfe“, oder der „Holledauer“. Ein nicht minder spannender Sechzger, wie sein Laden selbst. Ähnlich wie dieser Laden schweigend Geschichten erzählen kann, sprudeln die Anekdoten aus seiner Sechzger-Vergangenheit aus dem „Zapfe“ nur so heraus. Gerade so, als hätte man versehentlich ein Loch in den unteren Teil eines Sack voller Hirse gebohrt, rieselt es aus dem Mund des Besitzers dieses unglaublichen Ladens heraus.

Ein vogelwuider Hauch von Loriot

„Ich heiße Erwin Lindemann, bin Rentner, und habe im Lotto gewonnen. Von dem Geld reise ich mit meiner Tochter nach Rom und besuche eine Papst-Audienz. Im Herbst eröffne ich dann eine Herrenboutique in Wuppertal“. Ein bekannter Sketch von „Loriot“, der uns beim Rieseln direkt in den Sinn kommt. Na ja, von Lottogewinn ist hier im Laden trotz der vielen Schätze, zumindest auf den ersten Blick, nichts zu sehen. Aber als Herrenausstatter für einen Löwenfan, taugt diese “Trödel-Boutique“ allemal. Und dann die Geschichte von der Papst-Audienz, herrlich. Damals in Rom, beim Ratzinger. Mit dem Bus und einer Hand voll Löwenfans ging es zum Papst in den Vatikan. Einem Pfarrer aus Freising und mit der Christl, damalige Wirtin des Löwenstüberls, führte die Reise nach Italien. „Eine vogelwuide Reise“, wie Harald zu berichten weiß. In Rom war es an diesem Tag brütend heiß, der Verkehr unübersichtlich und die Straßen brechend voll. Zu allem Überfluß wurde der Bus der wallfahrenden Sechzgergemeinde in einen Auffahrunfall verwickelt. Für den Mann am Steuer war es das erst einmal. An eine Weiterfahrt war aufgrund der Prellungs-Schmerzen nicht zu denken. Auch wenn es ein Landsmann war, ein Papst wartet nicht. Für den “Zapfe” Grund genug sich selbst ans Steuer des Kleinbusses zu setzen. Die Operation „Papst-Audienz“ ging also weiter. Durch einen „voglwuidn“ Stadtverkehr bis zum Vatikan. Dass die wackeren Löwen an diesem Tag nicht die Einzigen waren, die dem Kirchenoberhaupt ihre Aufwartung machen wollten, war beim Anblick der überfüllten Petersplatzes schnell klar. Die Wachen am Einlass waren schnell überwunden, aber auf dem Menschen überfluteten Audienzplatz war die weiß blaue Delegation vom Papst so weit weg, wie der TSV 1860 München von der ersten Fußballbundesliga. Genauso, wie bei einem Fußballspiel, das erst beendet ist, wenn der Schiri pfeift, ist eine Papst-Audienz auch erst beendet, wenn der heilige Vater den Platz verlässt. Harald Zapfe nutzte den Verlauf der Audienz, um sich Stück für Stück über die linke Außenbahn nach vorne zu arbeiten. Und in der „Nachspielzeit“ gelang ihm tatsächlich der ersehnte Treffer. Ein sanfter Rempler zum Nebenmann, der Arm ging nach vorne, Harald machte sich lang, länger und patsch. Es war der heilige Vater, es war Benedikt der XVI, Joseph, Aloisius Ratzinger, der in diesem Moment seine Hand berührte. Das Grünwalder brodelte und wieder drehten die Löwen ein Spiel in allerletzter Minute.“Vogelwuid“. Und ja, es war der Petersplatz und nicht das Grünwalder. Und es brodelte auch nicht. Zumindest äußerlich. Innerlich war es für den Löwen Harald Zapfe aber genau so, wie beschrieben.

Im Reich der Mitte

Der Sack ist noch gut gefüllt, und so rieselt es weiter. Vom Petersplatz zu Rom ging es mit dem Flieger über einen Zwischenstop in Frankreich direkt ins Reiche der Mitte nach China. Die Löwen machten sich auf große Auslandsreise. Harald Zapfe war dabei. Mit im Gepäck eine große Ratsche, die ihm die Christl aus dem Stüberl mitgegeben hatte. Im Stadion in Shanghai standen, anders als zu erwarten war, nicht die Spieler auf dem Platz im Mittelpunkt, sondern der Mann hinter der Ratsche. China war damals eine aufstrebende Fußballnation, die noch tief in den Kinderschuhen steckte. Die Begeisterung und damit die Lautstärke in den Stadien hielt sich noch sehr in Grenzen. Und dann kam plötzlich dieser Lärm aus der Kurve der Gäste aus München. Was war das für eine Höllenmaschine, die ein weiß blauer Schlachtenbummler da ständig vor sich herum schwang? Selbst der übertragenden Fernsehsender wurde auf den lauten Ratschenmann in der Gästekurve aufmerksam. Zurück im Hotel war Harald Zapfe binnen kürzester Zeit zum „bunten Hund“mutiert. Jeder einheimische Angestellte kannte plötzlich den “Zapfe” aus dem Fernsehen, den Mann mit der Ratsche. Während dieser Auslandsreise verschlug es eine Hand voll Löwenanhänger auch nach Peking. Der kulturelle Kurztripp mit dem Bus führte das übersichtliche Löwenrudel auch auf die Chinesische Mauer. Für den unerwartet schweißtreibenden Aufstieg war der Zapfe damals nicht gut gerüstet. Den kühlenden Schweiß drückte es ihm aus jeder Pore und die Treppen wollten einfach nicht enden. Ein Löwe kämpft aber bis zum Schluss. Im Stadion auf dem Rasen, im Vatikan auf dem Petersplatz und wenn es sein muss, auch im Reich der Mitte auf der Chinesischen Mauer. Oben angekommen wollte es der Zufall, dass da Touristen aus Müncchen-Ramersdorf standen und für den schwitzenden Löwenanhänger sofort etwas übrig hatten. Die selbstlos gereichte Wasserflasche kam für den dehydrierten „Holledauer“ damals gerade recht. Ein paar tiefe Atemzüge später und die Anstrengung war schnell vergessen. Noch bevor der Zapfe den atemberaubenden Blick von der Mauer aus ins weite Land realisiert hatte, zückte er sein Rüstzeug. Einen schwarzer Edding. Ein Rüstzeug, dass zur Grundausstattung eines jeden Sechzgers gehören sollte. Mit der Befürchtung entdeckt zu werden huschte sein Blick mehrmals nach Links und nach Rechts, ehe er flink die Kappe vom Stift zog und die Chinesische Mauer mit dem Schriftzug „TSV 1860 München“ verschönerte. Kappe wieder drauf und schnell ein paar Meter machen, so die Gedanken vom Zapfe nachdem er wie ein Hund das Revier der weiß blauen Fangemeinde auf der weltberühmten Chinesischen Mauer markiert hatte. Ein paar junge Burschen hatten das verdächtige Treiben auf der Mauer aber beobachtet. Zum Glück, es waren ebenfalls Touristen aus dem fernen Deutschland. „Kannst du uns auch mal den Edding leihen ? Das wollen wir auch machen,“ so die Frage eines der Burschen. Mit dem Stift in der nach vorne gereichten Hand, entgegnete der mittlerweile nicht mehr überraschte Sechzger; „Ach so, auch Fußballfans? Welcher Verein?“. Mit den Worten „Bayern, ist doch logisch“ griff einer der Jungs nach dem Stift, den der “Zapfe” genau in diesem Moment geistesgegenwärtig wieder zurückzog. „Schaug i aus, wia a Schreibwarengschäfft? Kaffts eich selba an Edding.“ Der Sauerstoffgehalt im Blut stimmte mittlerweile wieder und sein Blick war fest und schien unerschütterlich. Für die jungen Burschen Grund genug das Feld ohne jegliche weitere Diskussion dem Löwen zu überlassen. Löwenrevier. Hier regiert der TSV. Auch auf der Chinesischen Mauer. Viel zu spät kam der Harald danach zum vereinbarten Bus-Treffpunkt. Aber der Bus stand zum Glück noch da und wartete auf den mittlerweile letzten Ausflügler. Welcher chinesische Busfahrer sollte sich auch trauen einen aus dem Fernsehen im ganzen Land bekannten Touristen stehen zu lassen?

Löwenschätze sind auf der ganzen Welt zu finden, nicht nur in der Fraunhoferstraße. Probiert es doch mal aus.

Fast belanglos klingt da schon die nächste Geschichte von den Aufstiegsspielen gegen Bielefeld bei denen der “Zapfe” jeweils vor Ort im Stadion für Stimmung sorgte. Bereits unter der „Cosa Nostra“ durfte er das ein und andere Mal mit der Trommel für den Takt in der Kurve sorgen. Damals war er auch im Fanklub bei den Holledauern sehr aktiv. Aus dieser Zeit rührt auch einer seiner vielen Spitznamen. Der „ Holledauer“. Seit Anfang der Siebziger stand Harald Zapfe in der Kurve bei den Löwen. Heute ist er nur noch sporadisch im Grünwalder zu sehen. “Zu viele Leute auf einen Haufen” und sein Laden beansprucht ihn doch sehr. Zudem ist er auch Gründungsmitglied der neuen Abteilung „Vereinsgeschichte“ des TSV München von 1860. Mit dem Laden hier sicherlich der richtige Mann an der richtigen Stelle. “Utensilien vom Seitenstraßenverein werden wir im Übrigen hier in seinem Laden vergeblich suchen“. Als würde uns jemals eine derartige Frage auf der Zunge gelegen haben. „Hinten im Kammerl, habe ich aber schon so rotes Zeug.“ „Wie kommts?“ die folgerichtige Frage. Der “Zapfe” kennt genügend Rote, die auch interessante Sachen von den Blauen besitzen. “Weil sie keine Ahnung haben, was diese Dinge eigentlich Wert sind, wollen sie nur Tauschen”, so die plausiblen Ausführungen vom “Zapfe”. Wichtig ist ihm auch, dass er nicht nur Dinge aus der Fußballabteilung des TSV zu bieten hat. In seinem Laden hat er Löwenutensilien vom Gesamtvereins. Ein Besuch in der Fraunhoferstraße lohnt also allemal. Bei ihm ist jeder Willkommen. In seinem Laden und in den sozialen Medien, wo er auf seinem Facebook-Account auch regelmäßig kleine und große Löwenschätze feil bietet. Tja, das war der Zapfe und wir hatten schon die Klinke der Eingangstür in der Hand und einen Abschiedsgruß auf den Lippen, da kam uns der Rudi Bommer dazwischen. Nicht dass der ehemalige Löwentrainer just in dem Moment zur Tür herein gekommen wäre, aber es rieselte schon wieder, oder besser gesagt immer noch. Wie viel Hirse denn in so einem Sack drin stecken mag? „Aschaffenburg. Bolzplatz. Der Rudi wohnte in der Nachbarschaft.“ „Wie, der Rudi Bommer?“ „Ja genau der. Wir kommen beide aus Aschaffenburg und haben uns auf dem Bolzplatz in der Siedlung als Kinder kennengelernt“, rieselte es weiterhin aus Harald heraus. „Als Trainer hat er nicht zu uns gepasst, aber man hat damals schon gesehen, dass er kicken kann“.

Irgendwie ist die Welt ein Dorf und der Löwenkosmos sowieso. Global und doch so überschaubar. Man sollte auch nie dem irrigen Glauben erliegen alleine zu sein. Das ist man nicht. Auch wenn es sich manchmal so anfühlen sollte. Gerade jetzt in Zeiten eines sehr eingeschränkten sozialen Lebens. Man ist nie alleine. Und als Löwenfan schon gleich dreimal nicht. So, wie wir den Laden vom Harald Zapfe entdeckt haben, gibt es in unserem Leben fast täglich etwas zu entdecken. Man muss nur genau hinschauen. Manches erscheint im ersten Moment als Trödel und erschließt sich dann erst auf den zweiten Blick. Alle Sechzger, die wir in unserer nun endenden wöchentlichen Serie „I bin a Sechzga“ vorgestellt haben, stellen nur einen kleinen Teil der großen Fangemeinde dar. Der Blick durch einen Spalt im Zaun auf einen schier unerschöpflichen Löwenkosmos. Wie könnte der Einzelne da alleine sein. Wir sollten dabei immer neugierig sein, Interesse für die Dinge um uns herum zeigen und den Mut haben auf unsere Mitmenschen zuzugehen. Unter uns Blauen ist das eigentlich ganz leicht. Wann immer sich ein Sechzger auf der Straße zu erkennen gibt, sei es, dass der Löwe auf seiner Kleidung prangt, oder ein entsprechendes Tattoo auf seiner Haut zu erkennen ist, sprecht ihn an. Oft reicht da schon ein unvermitteltes aber beherztes „Sechzig“ und ihr werdet zumindest ein Lächeln ernten. Sehr oft wird noch viel mehr daraus und man endeckt einen wahren Schatz. Wir sind überall. Auch da, wo man uns nicht vermutet. Probiert es doch mal aus.

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