Unsere Serie „I bin a Sechzga“ hat es bisher gezeigt. Jeder Fan ist individuell, wie ein Fingerabdruck, jeder hat seine eigene Geschichte und alle eint die Leidenschaft und tiefe Verbundenheit zum TSV 1860 München. Als wäre der Fan an sich nicht schon spannend genug, der Steff, alias „Loewen1860“, hat heute mehr als „nur“ seine weiß-blaue Geschichte zu erzählen. Unser heutiger Bericht eines wieder mal besonderen Sechzgers schillert auch in den Vereinsfarben des TSV 1860 München e.V. in Grün und Gold. Es geht um das grüne Gold der Hallertau.
Seinem Aufruf folgend, führte der Weg vergangene Woche in die Heimat vom Steff, genauer auf den Kolmhof in der Nähe von Geisenfeld, mitten in der schönen Hallertau. Wieder ein sonniger Tag und ja, was soll ich sagen, seit Mittag musste der Chef schon wieder auf mich verzichten. Kaum auf dem Hof angekommen kitzelte einem der Hopfengeruch unverkennbar in der Nase. Klar, es war Erntezeit. Der Steff wartete schon standesgemäß in 1860-Wiesn-Trikot und Lederhose. Eine hygienebedingt spartanische Begrüßung später, Ende Februar sah das in der West noch anders aus, führte der Steff durch die Produktionsstätten des Kolmhofes. Es ging darum, den Weg des frisch geernteten Hopfens, dem grünen Gold der Hallertau, bis zur verladefertigen Verpackung aufzuzeigen. Selbst wohnt der Steff mit Frau und den beiden Söhnen nur unweit des Kolmhofes. Der Hopfenbetrieb hier gehört seiner Cousine und deren Mann. Der Steff ist hier oft und gerne mit seiner Familie zu Besuch. „Koa Wunda, denk i leise bei mia. Wea so vui verdrogd, dea muaß an Hopfn scho meng.“
Der erste Schritt
Frisch vom Feld mit dem Erntewagen eingefahren lagern die Hopfenreben übereinandergestapelt in mehreren Reihen im hinteren, zur Ostseite geöffneten Holzstadel. Der Motor des Förderbandes dröhnt unüberhörbar, während ein Erntehelfer die Reben einzeln nacheinander in die laut klackernde Förderkette einklemmt. Der erste Schritt der Hopfenverarbeitung am Hof.
„Was war eigentlich Dein erster Schritt zu den Löwen?“
„Mei, so richtig Fuaßboi begeistert war i ois kloana Bua gar ned. I deafs gar ned song, an Fuaßboi hob i a nia ghabt. Aber a Klassenkamerad auf da Realschui hod überall wos nua gannga is 1860 hingschmiert. Ins Federmapperl, ins Schuiheft, aufn Disch, an d’Wand, überall.“ Auch eine Art, sich für einen Fußballverein zu interessieren, dachte ich mir. Sein Vater war als Polizist des Öfteren bei Fußballspielen in Ingolstadt eingeteilt, berichtet der Steff weiter. Nach dessen Aussage waren die Sechzger-Fans die lautesten und wildesten. Grund genug für den Steff, der mittlerweile im Alter von 13 Jahren von seinen „Spezln“ zum Vereinsfußball überredet wurde, neugierig zu werden. So richtig geschehen war es um den Steff bei seinem ersten Besuch im Grünwalder Stadion. Es war der 25.09.1993. Wiesnzeit. Auf Giesings Höhen spielte am 9. Spieltag der 2. Bundesliga der damals zweitplatzierte TSV 1860 München gegen den Ersten aus Bochum. Ein Spitzenspiel, das sich der Steff da ausgesucht hatte. Vor sage und schreibe 29.000 Fans im ausverkauften „Sechzger“ schenkten Armin Störzenhofecker, zweimal Bernhard Winkler und Peter Pacult den Blauen aus dem Ruhrpott ordentlich ein. Lediglich Uwe Wegmann gelang der Ehrentreffer für den VfL. Die Stimmung, das volle Stadion, der grandiose Sieg. Der Steff war von nun an ein Sechzger. Und als es gefühlt das ganze Stadion nach Spielschluss zu Fuß auf die Theresienwiese zog, gab es schon keine Zweifel mehr für den Burschen aus der Hallertau. „Wia de olle im Pulk auf d’Wiesn zong san, des war da Wahnsinn. Und olle homs uns Sechzger zugjubelt, im Zelt und vorm Zelt. Damals hob i echt gmoand, in Minga gibts nua Sechzga.“
Der mit den Dolden tanzt
Immer im gleichen Takt zog die Förderkette die Reben nach oben in die Maschine. In einem zweiten Schritt wurden nun die Dolden sanft von der Rebe getrennt. Das eigentliche grüne Gold, die Dolden, wurden im Weiteren kräftig durchgerüttelt, damit auch das letzte Blattwerk seinen Weg in den Häcksler fand. Das gehäckselte Grüngut wird im Übrigen als Dünger wieder auf die Felder ausgebracht. Die maschinell gezupften Dolden tanzten auf dem Förderband wieder nach unten, um in einem großen Zwischenbehälter auf ihre weitere Bestimmung zu warten.
Es war wohl auch so eine Art Bestimmung, dass der Steff ein Sechzger wurde. Ähnlich verlief es bei seiner Berufswahl. Der Vater hatte es vorgemacht. Und so wurde der Steff auch Staatsbediensteter bei der hiesigen Polizei in Ingolstadt. Wie sein älterer Herr wurde auch er zu Fußballspielen abkommandiert. Wechselseitig einmal ins Olympiastadion zu den Roten und einmal zu den Blauen ins Städtische Stadion an der Grünwalder Straße. Und immer wenn es nach GiesingStadtteil rechts der Isar und südöstlicher Teil der bayeri... ging, kam gebetsmühlenartig die gleiche Order vom Chef: „Stefan, du hast Jubelverbot“. Aber auch in Zivil zog es den Steff immer öfter ins Stadion zu den Löwen. Vier Spielzeiten lang hatte er eine Dauerkarte und stand regelmäßig im Olympiastadion, in das der TSV 1860 München aufgrund des Erstligaaufstiegs mittlerweile umgesiedelt war. Bis er eines Tages in der Kurve mit dem Wixer konfrontiert wurde. Das Spiel war schlecht und der Typ vor ihm schrie, “so a scheiß Spui, da hol i mia liaba oan obe.“ Kaum gesagt, holte er sein bestes Stück heraus und begann, mitten unter den ihn mittlerweile anfeuernden Fans, mit einem recht unappetitlichen Akt. „Des war echt asozial,“ so der nachvollziehbare Kommentar vom Steff. Eine Dauerkarte holte er sich fortan nicht mehr. Ins Stadion ging er nur noch sporadisch. Na ja, der Beruf und die Gründung einer Familie taten da auch ihr übriges.
Jetzt wird es trocken
Kaum zur Ruhe gekommen ging es für die Dolden in jeweils bedarfsgerechter Menge übers Förderband weiter nach oben ins angrenzende Gebäude. Dort wurde das Hanfgewächs, wie in einer übergroßen Darre, zur Trocknung auf drei verschiedenen Ebenen ausgebreitet. Und da kam der Steff ins Spiel. Zur Vorführung legte er selber Hand an und verteilte das Grüngut gleichmäßig auf der ersten Ebene. Wobei für die Gleichmäßigkeit dann doch wieder eine Maschine zuständig war. Ein kurzer Druck auf den Knopf und schon tat der „Emramara“ seinen Dienst. „Da bitte woß?“ „Emramara – der Ebenräumerer,“ erläutert der Steff beeindruckend fachmännisch. Ein ungläubiger Blick meinerseits und ein verschmitztes Grinsen seinerseits unterbrach unsere Konversation für einen Moment. „Des sog hoid i zu dem Recha do. Koa Ahnung wia des Drum wirklich hoaßd.“ Danke für die Aufklärung. „A Hund is a scho, da Steff,“ so meine Gedanken in diesem Moment.
Am Besten kann er sich an die Vergleiche mit den Roten erinnern. „Gefühlt war i bei jedem Derby im Stadion, bloß ned beim Sieg im Oly, ois da Riedl des Tor gmacht hod.“ Eine Fußballverletzung machte es ihm unmöglich, bis nach München ins Stadion zu fahren. Bis nach Geisenfeld in eine Fußballkneipe hatte er es aber geschafft. Allein unter lauter Andersgläubigen im roten Frack. „Hob i einen Spaß ghabt mit dene Briada. Verlieren hom de ned kennt.“ Im Rückspiel wollten die Roten diese Schmach ja bekanntlich wieder vergessen machen. Der Steff stand an dem Tag wieder im Oly, und wieder mitten unter den Andersfarbigen. „Koa Ahnung welcher Depp die Karten bsorgd hod,“ so die Begründung vom Stefan. Als der Stadionsprecher die Mannschaftsaufstellung der Löwen zum Besten gab, tönte es von hinten: „Wer is des?“. “Den wärst jetzt dann scho glei kenna lerna!“, die knappe aber überzeugte Antwort des zurückgewandten Steff aus der Hallertau. Und sie lernten ihn kennen. 21. Minute Rechtsschuss, gestatten Max, Martin Max. Der Rest ist bekannt. Danke nochmal an Jens Jeremies. Tolles Spiel, wenn auch im falschen Dress.
Mit der Schneeschaufel im Hopfenlager
Jetzt wurde es richtig heiß. Der Brenner unter den drei Hopfen-Lagen leistete ganze Arbeit. Mittlerweile standen wir im weiterführenden Gebäude mitten im Hopfenlager. Der Steff löste die Arretierung an der Wand und klappte eine große Lade nach unten. Das getrocknete und immer noch saftig grüne Gold kam zum Vorschein. Wie eine Schublade zog er das Gestell aus der Hopfendarre durch die gesamte Lagerhalle. Hebel hoch und schon prasselten die Dolden auf den Lagerboden. „Des muaß jetzt no a bisserl abkühlen, dann ramm maß auf den Haufa zu de andern”. Aha, jetzt weiß ich auch, warum da überall Schneeschaufeln rum stehen.
„Apropos rumstehen. Wie hast Du de Zeit in da Allianz Arena erlebt?“ Anfangs ist der Steff nur aus Neugierde in die Arena nach Großlappen rausgegangen. Und zu den wichtigen Spielen natürlich. Da waren seine Kinder auch schon das ein oder andere Mal dabei. Die Relegationsspiele gegen Kiel beispielsweise. „Hör bloß auf. Da fang ich gleich wieder das Trenzn an,“ mein erster Gedanke. „Ja und dann halt gegen Regensburg“, fuhr der Steff fort. „Mit meim Großen bin i friara raus. Abgstieng war ma eh scho und de Randale wollt i eam ersparn.“ Noch auf der Heimfahrt im Auto meinte der Filius zum Vater: „Dann brauch ma nimma in d’Arena fahrn“. Da hatte der vom Vater beeinflusste Junior wohl eine leise Vorahnung, was nach dem sportlichen Abstieg noch alles passieren würde. Trotz all der Querelen um seinen Herzensverein wurde dem Steff so richtig warm ums Herz, als sein Junior an einem der folgenden Tage zu ihm kam und ihn in den Arm nahm. Den Tag zuvor hatte der Steff seinem Filius noch die Wahl gelassen. „Brauchst wegen mia koa Sechzga bleim, wennst nimma mogsd,“ hat er seinen Sohn aus der Verpflichtung genommen, für immer ein Löwe sein zu müssen. „Baba, dann steing ma hoid wieda auf“, so der Junior. Der Kloß im Hals vom Steff war kaum verdrückt, da ging es mit dem Verein erst mal weiter bergab. In die Regionalliga. „De Insolvenz war ma liaba gwen,“ so die Ansicht vom Stefan zum „schwarzen Freitag“. „Dann hätt man los ghabt, unsern Investor“. So dachte der Steff, so dachten viele, damals. Heute, muss er zugeben, „herrscht angenehme Ruhe an der Grünwalder Straße 114“. Auf Gesellschafter-Ebene scheint man sich endlich anzunähern und an einem Strang zu ziehen. Aus Solidarität und des Friedens Willen verzichtet der Steff auch auf seinen üblichen Zusatz „ohne Hasan“ im Anschluss an seine Kommentare im Löwenmagazin. Das tun ihm im Übrigen einige andere auch schon gleich.
“Langsam griag i an Duaschd”
Vom Hopfenlager ging es wieder ins Parterre. Der nächste Schritt in der Verarbeitung des grünen Goldes stand an. Das Verpressen der trockenen Dolden in handelsübliche Gebinde. Der Trocknungsgrad der Dolden muss passen, damit jede Verpackung, bis auf eine festgelegte Toleranz, annähernd das gleiche Gewicht hat. Der Steff stand mittlerweile an der Maschine und schon ging es los. Die Dolden wurden aus dem Hopfenlager in bedarfsgerechter Menge in die Pressmaschine geleitet, um im nächsten Arbeitsschritt in die rechteckige Verpackung gepresst zu werden. Bis das Behältnis komplett befüllt war, führte die Maschine diesen Arbeitsschritt noch ein bis zwei Mal selbständig durch. Der Steff schlug das Verpackungsgewebe ein und nähte das Gebinde mit einer großen Nadel mit wenigen geschickten Handgriffen zu. Die Hopfengebinde kommen nach dem Verpressen auf eine geeichte Waage und werden vor Ort vom Verpacker selbst gesiegelt. „Früara ist da extra wea kemma“, so die Ausführungen vom Steff.
Maschine auf und raus mit der Verpackung. „Do konnst di nauf hokka. Is bequem wia a Sofa“, so die Anweisung vom Steff. Hinsetzen war in der Tat eine gute Idee. „Wann wead jetzt des druggane Zeig endlich zum Bier? Hob i an Duaschd“, meine unterbewusste, wie unfachmännische Zwischenbilanz des bisherigen Produktionsverfahrens. Und als hätte der Steff meine innere Stimme gehört, „so jetzt hol i a Bier und dann redn ma wieda üba de Sechzga“.
Das erste Spiel nach dem Doppelabstieg war für den Steff und seine beiden Jungs die Begegnung im DFB-Pokal gegen den damaligen Zweitligisten aus Ingolstadt. „Es war sauba hoaß an dem Dog. Mia warn in da Stehhalle ganz obn. Des war da Wahnsinn. Da Support vo de Löwen war so laut, dass da Kloane gwoand hat. Da Große aba war voi begeistert. A wenn ma am End verlorn hom, mia warn olle sowas vo infiziert, des war da Wahnsinn“. So die Erinnerungen vom Stefan an dieses Spiel am 13.08.2017.
Der Wahnsinn war mittlerweile auch das Bier, welches der Steff mir unter die Nase hielt. Pffft. Runter mit dem lästigen Kronkorken. Klirr. Hoch die Tassen. Und schon lief das Hopfenkaltgetränk süffig frisch die Kehle runter. Die Arbeit war getan und es entwickelte sich auf dem „Hopfensofa“ ein gemütlicher Plausch. Eine weiß-blaue Anekdote nach der anderen gab der Stefan zum Besten. Angesprochen auf die Regionalliga-Saison erzählte er beispielsweise von seinem Arbeitskollegen, mit dem er regelmäßig die Heimspiele besuchte. „Am Anfang ham mia no gsogd, dass ma bei jedem Tor a Hoibe dringa. Des ham mia bei dene Ergebnisse aba schnell sei lossn. Zum Schluss wars a Hoibe pro Punkt. Hod a glongd“.
“Hopfen-Sofa” – zum Abholen bereit
Mit einem letzten Blick in die Halle nebenan, wo die „Hopfensofa´s“ abholbereit gestapelt wurden, waren wir am Ende der Betriebsbesichtigung. Ein wunderbarer Nachmittag mit einem mehr als liebenswürdigen Sechzger ging zu Ende. Neben der Hopfenproduktion konnte man auch für das Leben etwas lernen. Es sind die sozialen Kontakte, mit Menschen wie dem Stefan, die unser Leben bereichern. In jeglicher Hinsicht keine trockene Angelegenheit dieser ereignisreiche Nachmittag mit „Loewen1860“ in weiß-blau und grün-gold.
Und wen es interessiert. Der Kolmhof produziert mit der Sorte “Hersbrucker” 7% des gesamten Hopfenbedarfs vom Augustiner Bräu. Also, spätestens bei der nächsten Halben Augustiner denkt Ihr ganz gemütlich an den Stefan aus der Hallertau. Prost.
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