Ein Kommentar
„Es gibt keinen Frieden für die Furchtsamen und Uneinigen“, meinte einst der Journalist und Schriftsteller Charles Dickens. Mut also benötigten die Gesellschafter des TSV 1860 München. Und sie müssen, wenn es um ihren Herzensverein geht, Einigkeit und Geschlossenheit zeigen. Mit der gemeinsamen Verpflichtung des neuen Geschäftsführers Marc-Nicolai Pfeifer scheint ein neuer Giesinger Frieden begonnen zu haben. Balsam für die Löwenseele?
Friede ist ein aktiver Prozess. Und so bemerkt der Philosoph Immanuel Kant richtigerweise: „Der Friede muss gestiftet werden, er kommt nicht von selber.“ Mit einer einstimmigen Berufung Pfeifers begonnen, ging es mit Vertragsverhandlungen im Hinblick auf die Coronakrise weiter. Hinter verschlossenen Türen fanden Verhandlungen statt. Heraus kam eine „wirtschaftliche Absicherung“. Früher als viele andere Klubs der Dritten Liga hat man für die kommende Saison komplette finanzielle Sicherheit. Das Worst Case Szenario ist mit eingerechnet. Selbst wenn alle Stricke reißen, sind die Löwen auf der sicheren Seite. Dank der Unterschrift von Gesellschafter und Kreditgeber Hasan Ismaik. Aber auch Dank seiner Vertreter und den Vertretern des eingetragenen Vereins.
Friede also in Giesing. Viele Fans scheinen dem wohl nicht ganz zu trauen. Oder aber sie wollen ihn nicht. Die Kommentarbereiche der einschlägigen Foren und Netzwerke sind noch immer voll von tiefer Spaltung. Nicht jeder möchte seines Feindbildes beraubt werden, ob nun gerechtfertigt oder nicht. Aber wer kann es den noch kritischen Fans verübeln? Immerhin haben die Verantwortlichen des TSV 1860 München über eine lange Zeit Misstrauen und Missgunst vorgelebt. Und dabei ist erstmal gar nicht wirklich wichtig, wer mehr mit einem medialen Feuer gespielt hat. Niemand kann den Fans vorwerfen, dass sie kritisch bleiben. Man hat es ihnen nicht nur vorgelebt, sondern ihnen auch die Plattformen dafür gegeben. Nun muss man geduldig sein.
Vor allem aber muss man den Frieden wahren. Und das ist deutlich schwerer, als einen Frieden zu stiften. Pfarrer Volker Hörner bemerkte einst, dass es leicht sei für den Frieden auf die Straße zu gehen, ungleich schwerer sei es jedoch, es ohne Feindbilder zu tun. Bei den Löwen wird genau dies das Problem sein. Das Feindbild, wie auch immer es aussieht, war neben dem Fußball wohl der Mittelpunkt der Fangemeinde.
Es ist eine größere Verantwortung, den Frieden nun zu wahren und damit verantwortlich umzugehen. Das wird schwer, denn längst nimmt man bei den Löwen alles auf die Goldwaage. Und auch jetzt wird, wenn auch versteckt, um die Gunst der Fans geworben. Schönwetter-Predigten beider Seiten können gefährlich werden. Weil sie einem versteckten Aufrüsten ähneln. Ein Friede ist eben kein Friede, wenn jeder stets betont, er wäre der größere Friedens- und Heilbringer. Deshalb birgt die Stellungnahme des Aufsichtsrates auch durchaus Gefahrenpotential. Hasan Ismaik hätte sich „erneut zu einer großen finanziellen Unterstützung“ verpflichtet. Geld geflossen ist noch keines. Und das sollte eigentlich auch nicht nötig sein, wenn die Worst Case Szenarien in der aktuellen Corona-Krise nicht eintreffen. Und Hand aufs Herz: Eine andere Möglichkeit als das aktuelle Finanzpaket hätte es gar nicht gegeben. Abgesehen vom Gang in die Infanteriestraße und das dortige Insolvenzgericht.
„Was wir Frieden nennen, ist meist nur ein Waffenstillstand, in dem der Schwächere so lange auf seine Ansprüche verzichtet, bis er eine Gelegenheit findet, sie mit Waffengewalt von neuem geltend zu machen„, meinte Luc de Clapiers Vaucenargues. Ein französischer Philosoph, Moralist und Schriftsteller. Bleibt also zu hoffen, dass es den Friedensstiftern auch wirklich um nachhaltigen Frieden geht. Und nicht „nur“ um die Verhinderung einer Insolvenz. Denn wir wissen alle, dass man im Grunde weit weg von einer gesunden KGaA ist. Viele Problemfelder bleiben bestehen. Giesinger Friede hin oder her.
Es ist durchaus teilweise unsere Pflicht als Fans den Frieden anzunehmen. Oder eben die Chance. Ja, es ist wichtig, wachsam zu bleiben und kritisch zu hinterfragen. Ein Friede ist nur dann ein Friede, wenn man ihn in Frage stellen darf. Wenn man die Beweggründe hinterfragen darf, ohne dass man gleich als Hetzer oder Dauernörgler beschimpft wird. Wie oft mussten wir als Fanberichterstatter uns anhören, wir sollten nun endlich mal Ruhe geben. Friede benötigt wie auch Demokratie stets Strömungen, die kritisch bleiben.
Wir stellen weiterhin Fragen. Als Fans und für Fans. Und wir bleiben kritisch. Aber vor allem deshalb, weil wir den Frieden mit wahren möchten. Und weil wir hoffen, dass er sich weiter festigt. Nachdem es nun ein nachhaltiges Finanzpaket gibt, bleibt wenig Grund zum Nörgeln und Jammern. Auf taktische Spielchen müssen die Gesellschafter ebenfalls verzichten. Sonst machen sie sich unglaubwürdig. Ohnehin müssen sich alle Verantwortlichen genau an diesem Frieden messen lassen. Daran sollte man sie durchaus erinnern.
Ein Spiel steht heute noch auf dem Programm. Es ist der Abschluss einer sportlich wirklich tollen Saison. Trotz aller Widrigkeiten und Kämpfe. Trotz Corona. Was ist dann erst in der kommenden Saison möglich, wenn nun wirklich alle an einem Strang ziehen? Wir freuen uns drauf.