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Fanbericht: Ausflug nach Mainhatten

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Nennt mich Schorsch Metzger. Ich bin 43 Jahre, verheiratet, vier Kinder und komme aus dem wunderschönen Berchtesgadener Land (BGL). Löwen-Fan seit 1989. Früher Dauerkarten Steher. Gerne auswärts dabei. Nun familien- und arbeitsplatzbedingt leider nur noch sporadisch bei Löwenheimspielen.

Schon seit seiner Geburt 2004 überlege ich, wie man sein Kind / seinen Sohn zu einem ordentlichen Löwen-Fan erziehen kann? Wie geht man mit Zweifel um? Soll das arme Kind wirklich all das durchmachen, was ich mit den Löwen durchgemacht habe? Ich entschied mich dazu, meinen Sohn (später auch seinen Geschwistern) einen gangbaren Weg vorzugeben. Jedoch auch nachzugeben, wenn er sich anders entwickelt. Erzwingen kann man sowieso nichts.

Nennt meinen Sohn Tom. Er schlief in Löwenbettwäsche, hatte einen 1860-Babystrampler an. Tom trug auch noch zu Kindergartenzeiten stolz die von Papa erstandenen 1860-Trikots, Schals, Caps und Mützen. Dann aber kam irgendwann ein Bruch. Sei es wegen der Leistung unserer 1. Mannschaft, die zu dieser Zeit in der 2. Liga rumdümpelte und rumpelte. Sei es wegen Toms Umfeld.

Das Dorf, in dem wir leben, kann man ohne Untertreibung als „rotes Dorf“ bezeichnen. Blau bin hier fast nur ich. Auch der Sportverein bei dem mein Sohn seine durchaus beachtliche Fußballkarriere startete, ist durch und durch „rot“. Zu Weihnachtsfeiern gibt’s FC Bayern VIP-Karten als Tombola-Hauptpreis. Für die Kinder werden Freikarten für Bayernspiele herangeschafft und dann gemeinsam per Bus als Mannschaftsausflug diese Spiele besucht. Seitenhiebe von Mannschaftskameraden aber auch von anderen prägenden Personen waren für meinen Löwen-Sohn nicht selten. Unvergessen für mich, wie der F-Jugendtrainer, ansonsten echt ein netter Kerl, meinen Sohn und seine Mitspieler zum Wettlauf motivierte: „Auf geht’s, wer zuerst an der Auslinie ist, ist ein Bayer. Der letzte ist ein Sechzger!!!“

In dieser, ja schon fast 60-feindlichen Stimmung Löwen-Fan zu bleiben, bedarf schon einer großen Portion Selbstbewusstsein für einen kleinen Jungen. Darum war es für mich wenig überraschend, dass Tom irgendwann ankam und sich ein Bayerntrikot zum Geburtstag wünschte. Natürlich wehrte ich mich lange Zeit dagegen. Nie im Leben würde ich meinem eigenen Fleisch und Blut eine Bayern-Devotionalie kaufen. Nur über meine Leiche würde ich ihm so ein Geburtstagsgeschenk machen. Jedoch, so belehrte mich meine Frau, kann ich dem Nikolaus, Christkind oder Osterhasen nicht reinreden. Also lag für Tom natürlich ein Bayern-Trikot unter dem Christbaum. Auch Toms Tanten beteiligten sich an diesem miesen Spiel. So dass der Junge bald eine schöne Sammlung an Bayernfanartikel zusammen hatte. Hinzu kommt natürlich, dass Kinder hoffnungslose Opportunisten sind. Also blieben natürlich auch die nächsten Jahre die Bayern seine erste Wahl (wann sind die in den letzten 10 Jahren eigentlich nicht Meister geworden?). Sporadische Fahrten mit seinem Dad zu den Löwen machte Tom (und auch seine Bayernfan Freunde) zwar gerne mit. Der Funke sprang in der AA aber auch nicht wirklich über.

Ein kleiner Funken Hoffnung keimte in mir auf, als ich Toms Reaktion auf den ja tatsächlich geilen Pokalsieg der Frankfurter Eintracht über den FC Bäh 2018 beobachtete. Statt traurig über die Niederlage seiner Bayern zu sein, hatte es den Anschein, dass er sich mit den Frankfurter Jungs mitfreute. Auch die überragende Europa League Saison der Eintracht, nebst seiner grandiosen Fans on Tour, verfolgte er ganz genau. Sein Traum wäre es, einmal in der Eintracht-Fankurve zu stehen und die SGE mit zu unterstützen, sagte er zu mir. Selbst die eher übersichtlich erfolgreiche aktuelle Saison brachte ihn nicht davon ab. Tom legte sich also neben den Bayern ein zweites Standbein zu…was ich nun auszunutzen versuche.

Nach dem Motto: „Alles was nicht Bayern ist unterstütze ich!“ organisierte ich für den 07.02.2020 einen Vater-Sohn Ausflug. Mein fast 16-jähriger fiel Weihnachten aus allen Wolken, als er zwei Tickets für das Spiel Eintracht – FC Augsburg geschenkt bekam. Zwar Sitzplätze im Oberrang. Aber ganz nah an der SGE-Kurve. Auch die Übernachtung und die Zugtickets waren dabei.

So starteten wir beide gleich nach Schulschluss am Freitag mit dem Eurocity von Freilassing im BGL nach Frankfurt am Main. Auf der 6-stündigen Fahrt erlebt man, wie die meisten von euch wissen, so manch interessante oder auch witzige Geschichte beim Mitreisendenbeobachten. So wurde uns wirklich nicht langweilig. Ab dem Haltepunkt Weinheim machte sich Papa dann sein erstes Bier auf, schließlich waren wir auf einer „Auswärtsfahrt“, und mussten uns langsam in Fußballstimmung bringen. Der Junior bekam immerhin ein Radler.

Angekommen in Mainhatten suchten wir zunächst unser Hostel auf, um unsere Reisetasche loszuwerden. Nach den ersten Erinnerungsfotos von der Frankfurter Skyline, ging es ab nach Alt-Sachsenhausen. Hier kannte ich mich noch von einer Auswärtsfahrt mit meinen Löwen in der Saison 99/00 aus. Die zahlreichen Eppelwoi Lokale und die Hessische Hausmannskost in diesem Stadtteil muss man mitnehmen. Hier trafen Tom und ich auch auf ein junges Pärchen aus der Darmstädter Gegend – Flo und Lisa.

Diese Beiden entpuppten sich als perfekte Reiseführer zur Commerzbankarena. Übrigens nennt diese Arena niemand so. Auch die Kurve skandiert immer noch „WALDSTADION“. Nach interessanten Geschichten über Dies und Das bei der Eintracht und meiner Aufklärungsarbeit über die Löwen („Ach, der Ismaik ist gar kein immer weiter Geld gebender Mäzen, sondern nur ein zum Glück im Moment gestoppter Darlehensgeber Schrägstrich Kredithai?!?“), erreichten wir das Stadion. Hier trennten sich unsere Wege und Tom und ich erklommen den echt steilen Oberrang. Mit 48.800 Zuschauer war das Waldstadion (Kapazität 51.500) für einen Freitagabend gut gefüllt. Leider brachten die Datschis nur etwa 700 Fans mit.

Den ganzen Tag über, als wir sowohl in Sachsenhausen als auch in der U-Bahn oder auf dem Fußmarsch durch den Stadtwald zum Stadion auf SGE-Fans trafen, mokierte sich niemand über meinen 60er Schal, den ich natürlich trug (Farbe bekennen!). Einzig mein Sohn meinte noch im Zimmer, ob das wirklich sein muss? Ja, musste. Als wir unsere Sitzplätze erreichten, musterte mich ein angetrunkener Eintrachtler von oben bis unten und fragte mich dann herausfordernd, ob die Löwen hier heute auch spielten. Ich glaube meine Antwort hatte er schon nicht mehr gehört. Egal.

Schon vor dem Spiel großartige Stimmung im weiten Rund. Angeheizt vom 1984er Hit „Erbarmen – zu spät, die Hesse komme“ und einem von 60er-Jahre-Herzschmerz-Scharm nur so triefenden Eintrachtmarsch (60ger Marsch lässt grüßen) kam die Aufstellung des Adlerteams. Mein Sohn war voll dabei, was mich freute, denn wegen ihm waren wir ja hier. Zum Spielbeginn gaben dann die drei Capos vor der Eintracht Kurve Vollgas. Statt umständliche Megaphone, wie unsere Vorsänger, haben die SGE-ler Lautsprecherunterstützung, so dass jeder von ihnen ein handliches Mikrophon in der Hand hält. Ihre eingängigen Schlachtrufe schwappten tatsächlich ins gesamte Stadion über. Selbst die Haupttribüne macht hier richtig gut mit, was einen ohrenbetäubenden Lärm verursacht, der nicht nur meinem Tom mehrmals Gänsehaut einbrachte.

Der Spielverlauf ist schnell erzählt. Die Datschis, immerhin mit den vier Ex-Löwen Max, Uduokhai, Baier und Niederlechner hatten zwar die erste Chance in der 9. Minute. Keeper Trapp machte diese aber zu Nichte und ab da spielte nur noch die Eintracht.  Eigentlich überrollte sie ihren Gegner im Stile eines Topteams. Vor allem mit der Schnelligkeit der Frankfurter Spieler kam Augsburg nie zurecht. Schwächster Mann auf dem Platz war wohl Felix Uduokhai. Würde mich sehr wundern, wenn Augsburg für ihn nach der Saison eine Ablöse zahlen würde, wovon wir ja ein bisschen profitieren würden. Die erste Liga scheint für Felix derzeit eine Nummer zu groß, 2. Liga würde wohl besser für ihn passen. Oder Dritte?

Die Stimmung im Waldstadion war natürlich am Siedepunkt, was auch nicht wirklich schwer zu erreichen ist, wenn das Heimteam 5:0 gewinnt. Trotzdem auch für mich beeindruckend. Wechselgesänge, Gesangsvielfalt, Schal-Choreos, spontane Sprechchöre zur Einzelspielerhuldigung. Die Frankfurter Kurve hat einiges zu bieten. Und ich und Tom konnten dies von unserem Platz aus sehr gut verfolgen und waren bis zum Schluss mitgerissen. Auch unsere Sitzplätze wurden ziemlich schnell zu Stehplätzen, was mir sehr gefiel. Mit unseren uns völlig unbekannten Sitznachbarn hatten wir auch schon nach kurzer Zeit sehr viel Spaß. Also rundum das perfekte Stadionerlebnis.

Noch Tage danach spricht Tom von wenig anderem als unserem Ausflug nach Mainhatten. Dies macht mich sehr froh: Denn da er die „Roten“ nun praktisch abgelegt hat, er vom Erfolgs-Fan zum Kurven-Fan mutiert, ist es nur noch ein kleiner Schritt ihn zum Löwen-Fan zu machen.

Bald ist er bereit und ich nehme ihn mit in die Westkurve des Grünwalderstadions. Würde mich doch sehr wundern, wenn er durch die Verve und den Gemeinschaftssinn in unserer Kurve, die für den Löwen Vollgas gibt, nicht doch noch zu meinem Herzensverein konvertiert.

Zumindest hoffe ich das…!

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