Während die halbe Welt an einem mittlerweile wochenlang andauernden „Cyber Friday“ bei einem amerikanischen Großhändler online Dinge bestellt, die man eigentlich gar nicht braucht, bereitete sich der TSV 1860 München auf das nächste Heimspiel vor. Der nächste Gegner kommt aus der Nachbarschaft und könnte mit den öffentlichen Verkehrsmitteln an die Grünwalder Straße 4 anreisen. Die Partie im Grünwalder Stadion findet wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eigentlich eine nicht nennenswerte Information, da für jeden selbstverständlich. Wie sehr der Zuschauer diesem Sport fehlt, dürfte mittlerweile aber jedem fußballbegeisterten Fan aufgefallen sein. Gerade den Löwen scheint derzeit die Unterstützung von den Rängen besonders zu fehlen. Die Rahmenbedingungen sind aber für alle gleich und gegen Türkgücü München (Anpfiff: 14:00 Uhr) geht es morgen wieder auf 6.600 qm kurzgeschnittenem Rasen um drei Punkte. Elf gegen Elf.
Jung, aufstrebend, mit Migrationshintergrund sucht…
Der SV Türk Gücü München wurde im Jahre 1975 von einer Gruppe türkischer Migranten gegründet. Von 1988 bis 1992 sowie von 1994 bis 1996 spielte die Mannschaft in der seinerzeit drittklassigen Bayernliga und lockte bei Spielen gegen den TSV 1860 München bis zu 12.000 Zuschauer ins Dantestadion. Im Jahr 2001 musste der Verein Insolvenz anmelden und wurde aufgelöst. Hintergrund war die Rückkehr des Präsidenten und Geldgebers Ergun Berksoy in die Türkei. Als Nachfolgeverein wurde der Türkische SV München gegründet, der gleich in seiner ersten Saison aus der Landesliga abstieg und 2005 den Gang in die Bezirksliga gehen musste. Im Jahre 2008 ging es für den Verein hinunter in die Kreisliga, bevor der Türkische SV ein Jahr später mit dem Bezirksligisten SV Ataspor München fusionierte, der im Jahre 1981 als Abspaltung vom SV Türk Gücü München entstanden ist. Der SV Türkgücü-Ataspor stieg im Jahre 2013 nach erfolgreichen Relegationsspielen gegen den TSV Bobingen und dem TSV Grünwald in die Landesliga auf. Am 1. Januar 2016 stieg der Unternehmer Hasan Kivran, der früher selbst für den Vorgängerverein gespielt hatte, als Präsident beim SV Türkgücü-Ataspor ein und investierte hohe Summen. Damit begann nach mehreren Jahren Abstiegskampf der Aufschwung. Im Sommer 2017 wurde stark in die Mannschaft investiert und neben Trainer Andreas Pummer gleich fünf Spieler vom Bayernligameister FC Unterföhring geholt. Als Ziel wurde der Aufstieg in die Regionalliga Bayern bis 2020 vorgegeben. Nach Startschwierigkeiten lieferte sich Türkgücü-Ataspor ein Duell mit der SE Freising um die Meisterschaft. Die Entscheidung fiel am vorletzten Spieltag, als die Münchner zum direkten Duell nach Freising reisen mussten. Der 3:1-Sieg sicherte die Meisterschaft und den Aufstieg in die Bayernliga. Gleich in der ersten Saison gelang als Meister der Südstaffel der Durchmarsch in die Regionalliga Bayern, so dass das selbst gesteckte Ziel bereits ein Jahr früher erreicht wurde [Quelle: Wikipedia]. Die Regionalliga wurde von dem aufstrebenden Verein aus München dominiert. Am Ende wurde der Liga-Betrieb aufgrund der sich ausbreitenden Corona-Pandemie abgebrochen und die auf Platz eins liegenden Türken vom BFV als Aufsteiger festgelegt.
Große Klappe, was dahinter
Auch eine Etage höher in der Dritten Liga denken die Verantwortlichen, um Geschäftsführer Maximilian Kothny und dem Leiter von Geschäftsstelle und Finanzen, Kenan Kivran, erst gar nicht daran, kleinere Brötchen zu backen. Ging es gestern noch um den Aufstieg in die Dritte Liga, heißt der Wunsch heute perspektivischer Aufstieg in die Bundesliga 2 und gerne auch nach ganz oben. Dass dieses Ansinnen keine leeren Worte darstellt, beweist die von den Türken vor der Saison an den Tag gelegte Kauflaune. Insgesamt 18 Neuzugänge sprechen eine deutliche Sprache. Aktuell geistert zudem das Gerücht durch die Medien, dass Türkgücü an einer Verpflichtung des vereinslosen und ehemaligen Bundesligaspielers Mehmet Ekici interessiert wäre. Sicherlich ein weiteres Zeichen an den mit 35 Spielern bereits üppig bestückten Kader. Auf der Trainerposition halten die Verantwortlichen ebenfalls nichts vom Kleckern. Mit dem Aufstieg in die Regionalliga wurde der ehemalige Löwentrainer Rainer Maurer verpflichtet. Trotz der Dominanz des Aufsteigers wurde der Vertrag mit dem erfahrenen Trainer trotz Tabellenführung im Mai letzten Jahres zum Unverständnis vieler wieder aufgelöst. Mit der neuen Saison kam Alexander Schmidt. Für die Löwenfans ebenfalls ein alter Bekannter aus vergangenen Tagen. Schmidt hat viele Trainerstationen im Jugendbereich des TSV 1860 München durchlaufen und sich bei den Löwen bis zum Cheftrainer hochgearbeitet. Über Jahn Regensburg, den VfB Stuttgart, Unterhaching und zuletzt dem SKN St. Pölten ist Alexander Schmidt nun beim Nachbarverein gelandet. Neben den großen sportlichen Ambitionen sind vielen die forschen Äußerungen des Geschäftsführers Maximilian Kothny, im Zusammenhang mit der Klage der Türken auf Teilnahme am DFB-Pokal, noch in guter Erinnerung. Wo so mancher Understatement eines Aufsteigers erwartet hatte, riskierte Türkgücü eine kesse Lippe. Doch was steckt hinter der großen Klappe des Nachbarvereins? Aktuell liegt Türkgücü mit respektablen 17 Punkten auf Rang 8 der Tabelle. Dies zudem mit zwei Spielen im Rückstand. Ein Sieg am Samstag gegen die Löwen und die Vorzeichen hätten sich umgedreht. Sportlich ist der Aufsteiger voll im Soll.
Erfolg hat zwei Namen
Trainer Alexander Schmidt bevorzugt ein 4-3-1-2-System, mit dem seine Mannen aus einer gesicherten Abwehr agieren können, ohne dabei die Offensive zu vernachlässigen. Rückhalt auf der Linie ist Rene Vollath. Der beim 1. FC Nürnberg und der TSG Hoffenheim ausgebildete Torwart ist zum Beginn der Spielzeit vom KFC Uerdingen gekommen. In der Abwehrreihe hat sich der Drittliga-erfahrene Aaron Berzel vom TSV 1860 München etabliert. Ebenso eine feste Größe im defensiven Mittelfeld wurde Philipp Erhart, Neuzugang vom SV Mattersburg. Ebenfalls aus der österreichischen Liga wurden Nico Gorzel (zentrales Mittelfeld) und Stefan Stangl (linker Verteidiger) rekrutiert. Beide kommen aus St. Pölten, vom ehemaligen Verein von Cheftrainer Alexander Schmidt. Der an der Grünwalder Straße 114 ausgebildete Kilian Fischer (20) ist ebenfalls gesetzt im Mittelfeld des Nachbarvereins. Wie Aaron Berzel wird Kilian Fischer am Samstag gegen seinen Ex-Verein sicherlich hoch motiviert zur Sache gehen. Für den bisherigen Erfolg des Münchner Nachbarvereins stehen aber zwei Namen besonders im Vordergrund. Sercan Sararer und Petar Sliskovic. Mit der Verpflichtung dieser Spieler hat Türkgücü durchaus ein gutes Näschen bewiesen. Der in Nürnberg geborene türkischstämmige Spanier Sercan Sararer wurde in der Jugend von Greuther Fürth ausgebildet und versuchte sich beim VfB Stuttgart sowie bei der Fortuna in Düsseldorf. Nach einem kurzen Intermezzo beim Karlsruher SC wechselte der offensive Mittelfeldspieler zu Türkgücü. Bei den Münchnern spielt Sararer wie entfesselt und gibt im Mittelfeld den Oberkellner. Der 30-Jährige legte bereits achtmal zum Torerfolg auf und traf selbst zweimal ins Schwarze. Als Kapitän und Vorlagengeber ist er Dreh- und Angelpunkt im Spiel von Türkgücü. Abnehmer der vielen Vorlagen von Sercan Sararer ist Petar Sliskovic. Der 1,93 m große Kroate wurde bei Mainz 05 ausgebildet und versuchte sein Glück mehrfach in der Fremde. Dynamo Dresden, FC St. Pauli. Kickers Stuttgart, Hallescher FC, VfR Aalen sind nur ein Ausschnitt seiner vielen Stationen. Zuletzt versuchte der mittlerweile 29-jährige Mittelstürmer sein Glück beim MSV Duisburg. In 559 Spielminuten brachte er es dort auf insgesamt vier Tore. Zumeist gab er aber für Vincent Vermeij den Backup auf der Reservebank. Bei Türkgücü scheint für Petar Sliskovic alles zu passen. Acht Torerfolge in bisher zehn Spielen gehen auf sein Konto. Zudem legte er zweimal zum Torerfolg auf. Sercan Sararer und Petar Sliskovic, zwei Spieler, die im besonderen Maße für den bisher gelungenen Auftakt von Türkgücü München in Liga 3 stehen.
Prestige, oder doch nur Fußball?
Für die Löwen wird es morgen ein außerordentlich schweres Spiel. Es gilt, nicht nur einen aufstrebenden Gegner in Zaum zu halten. Es geht um einen Münchner Verein und damit auch um Prestige. Der Nachbarverein sieht sich bereits auf einem guten Weg, die zweite Kraft im Münchner Fußball zu werden. Der Löwenanhang erwartet insofern nichts anderes als einen Sieg gegen den türkischen Nachbarn. Michael Köllner wird seine Löwen nach dem Fehlpassfestival in Verl ins Gebet genommen haben. Gegen Türkgücü müssen Mölders und Co. eine gehörige Schippe drauf legen. Einstellung und Kampfgeist werden alleine nicht reichen. Es gilt, spielerische Lösungen auf dem Platz zu finden, um in die Box des Gegners zu kommen. Konzentration und klare, sichere Bälle. Gerade in so einem Spiel wäre der Support von den Rängen so wichtig. Der Fan ist aber sicherlich mit dem Herzen dabei. Für die einen ist es nur Fußball. Für die anderen der geilste Sport der Welt. Auf geht’s, Löwen! Kratzen, beißen, siegen.
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