Es ist nervig, jedes Jahr daran erinnert zu werden, dass in Deutschland einer der größten Verbrechen in der Menschengeschichte passiert ist. Nervig, weil Generationen danach kaum ein Zeitzeuge übrig geblieben ist. Und von den jüngeren Menschen auch niemand mehr direkt an den Verbrechen beteiligt war. Es ist nervig und gerade deshalb so wichtig. Weil es unsere Pflicht ist, uns jedes Jahr an diese Greueltaten zu erinnern. Es ist unsere Pflicht dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Und umso nerviger, umso besser. Klingt dämlich, ich weiß.
Nein, ich möchte Euch nicht die Feierlaune nach dem Sieg der Löwen nehmen. Wir dürfen feiern und wir sollen feiern. Aber wir werden wahrscheinlich noch sehr viel zu feiern haben. Aber ich möchte noch einmal auf den gestrigen Gedenktag zu sprechen kommen. Weil er am gestrigen Tag zwar in der gesamten Fußballszene mit Bildern und Sprüchen präsent war, im Grunde jedoch zumindest mir persönlich es teilweise nicht genug in die Tiefe ging. Und weil es viel zu häufig Menschen gibt, die meinen, es wäre jetzt genug. Genug damit, die Deutschen ständig an die einstigen Greueltaten zu erinnern. Weil ja ohnehin von den einstigen Tätern oder Verbrechern kaum einer mehr am Leben sei und die heutigen Generationen nichts dafür können.
Wer so spricht, hat den Gedenktag nicht verstanden. Es geht nicht um Schuldzuweisung. Es geht nicht um ein Verurteilung eines gesamten Volkes und deren Nachfahren. Es geht auch nicht zwingend um eine Schuldfrage. Sondern vielmehr darum, aus der Geschichte zu lernen. Der Deutsche Fußball-Bund hat es vollkommen richtig gemacht. Er hat in diesem Jahr insbesondere die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität thematisiert und den Bogen zur heutigen Gesellschaft und aktuellen Vorkommnissen geschlagen. Und genau darum geht es. Es ist nicht das primäre Ziel, einen Holocaust zu verhindern, sondern jegliche menschenenunwürdige, diskriminierende und verachtende Ideologie aus der Gesellschaft zu verbannen. Weil sie die Grundlage für derartige Greueltaten sein können, die einst passiert sind. Wir müssen nicht das Feuer verhindern, sondern die Funken.
In meinem ganzen Leben hatte ich persönlich nie geglaubt, dass die Menschen in Deutschland auch nur annähernd noch einmal Verbrechen wie im Nationalsozialismus zulassen. Die Pandemie COVID-19 hat mich zum Umdenken gebracht. In meinem ganzen Leben habe ich nie so viele Menschen gesehen, die sich in kürzester Zeit auf schlimme Art radikalisiert haben. Darunter auch viele Löwen, mit denen ich vor der Pandemie gerne ein Bier getrunken habe. Das ist eine bitterböse Erfahrung für mich. Nein, das heißt nicht, dass das alles Nazis sind. Aber es zeigt mir, wieviele sich in kürzester Zeit radikalisieren lassen. In welche Richtung auch immer.
Er wolle nicht, dass man seiner eineinhalbjährigen Tochter in ihrer aktuellen Lebensphase die Möglichkeit raube, an den Strand nach Italien zu fahren und Sandburgen zu bauen. Meinte ein Vater jüngst im Radio. Das ist meines Erachtens grotesk. Auch ich bin der Meinung, dass man Kinder und Jugendliche während der Pandemie bestmöglich unterstützen und fördern muss. Ja, dass man auch stets zwischen Freiheit und notwendigen Regeln in Pandemie-Zeiten abwägen muss. Aber den Sandburgenbau ermöglichen als primäres Ziel?
Wir haben jahrelang in einer Wohlstandsgesellschaft gelebt und tun es heute noch. Wir haben über die Verhältnisse dieser Erde gelebt. Wir verbrauchen Rohstoffe, die nicht nachwachsen oder zumindest nicht so schnell, wie wir sie “benötigen”. Millionen von Menschen wollen in kürzester Zeit die Ressourcen dieser Welt besitzen und nutzen. Das kann nicht gut gehen. Die Erde hat nun mal nicht so viele Rohstoffe, um jedem ein Handy und ein Auto zu ermöglichen. Immer mehr Menschen wollen zudem in Wohlstandsgesellschaften leben. Das bringt Konfliktpotential mit sich. Während in manchen Ländern Menschen noch um ein Stück Brot kämpfen oder Angst haben, dass die Wasserbrunnen für immer versiegen, kämpfen hier Menschen um ihre vermeintlichen “persönlichen Freiheiten und Rechte”. Weil sie ihren priviligierten deutschen Hintern nicht in den warmen Sand Italiens setzen können. Und für diese Freiheit kämpft man. Ironischerweise schließen sich dabei viele den Ideologien an, die ihnen genau das nehmen. Nämlich die Rechte und die Freiheit. Nicht falsch verstehen. Das heißt nicht, dass man nicht Maßnahmen der Regierung in Frage stellen darf oder soll. Und auch nicht, dass man sich keine Sorgen um die Wirtschaft und Unternehmen machen darf. Aber es ist durchaus sichtbar, wem es wirklich um konkrete Vorschläge und berechtigte Kritik geht, oder wer einfach nur auf den ideologischen Zug aufspringt.
Auf einen Zug, der so manchen kleinen Mann als erstes opfern würde …
Ein alter Witz bringt es auf ironische Weise auf den Punkt. Bevor Hitler an die Macht kam, meinte ein Arbeiter, die Welt wäre ungerecht. Stets wären die Bonzen immer vorne und sie als Arbeiter stünden hinten. Da meinte Hitler: “Wartet nur ab, bis ich an der Macht bin und ich meinen Krieg beginne. Dann stehen die Bonzen hinten und ihr vorne.”
Lasst uns im kleinen Kreis genauso wie im großen stets für tatsächliche Werte einstehen. Für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte. Gegen Diskriminierung. Gegen menschenverachtende Ideologien. Die Erinnerung an die Greueltaten von Auschwitz sind viel mehr als die Erinnerung an eines der größten Verbrechen an der Menschheit. Es muss ein Mahnmal in unserem Herzen sein.