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50+1 – wie geht es weiter?

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Wer meint der TSV 1860 wäre der einzige Chaos-Verein in Deutschland, der hat sich bisher nicht mit den Vorgängen bei Hannover 96 oder dem VfB Stuttgart beschäftigt. Neben 1860-Investor Hasan Ismaik, der seit Jahren gegen 50+1 vorgeht, ist es v.a. Martin Kind der das Ziel hat, 50+1 abzuschaffen. Wie steht es also aktuell um das höchste Gut im deutschen Fussball – die 50+1 Regel?

Mitte vergangenen Jahres schien alles klar zu sein. Das Bundeskartellamt stellte nach jahrelanger Prüfung seine Ergebnisse zur 50+1 Regel im deutschen Fussball vor. Grob zusammengefasst wurde die Regel als wettbewerbskonform und sportpolitisch als unbedenklich eingestuft. Zwar wurden immer noch die zwei Werksvereine Wolfsburg und Leverkusen bevorzugt und das Konstrukt Leipzig gar nicht berücksichtigt, dennoch war man einen deutlichen Schritt weiter, um endlich Klarheit in der Diskussion über 50+1 zu erlangen. Eine Abstimmung innerhalb der DFL zur Bestätigung der Empfehlung des Kartellamtes sollte Ende 2023 erfolgen und galt als sicher. Doch dann schaltete sich Hasan Ismaik ein, der seit Jahren gegen die 50+1 Regel vorgeht, obwohl dies im Kooperationsvertrag zwischen ihm und dem Mutterverein untersagt wurde. Er stellte einen Befangenheitsantrag gegen einen Mitarbeiter des Bundeskartellamtes, der die letzte notwendige Abstimmung innerhalb der DFL deutlich verzögerte. Mittlerweile wurde der Antrag zwar abgewiesen, jedoch wurden in diesen Monaten der Verzögerung drei Entscheidungen zum Verhältnis zwischen sportverbandlichen Regelungen und dem Wettbewerbsrecht erlassen, die das Bundeskartellamt nun berücksichtigen muss. Dabei geht es um die Rechtssache der European Super League, der ISU und der Royal Antwerp. Gerade die Entscheidungen zur Super League sind für 50+1 wichtig. Das höchste europäische Gericht hatte am 21. Dezember im Streit um die Gründung einer Super League entschieden, dass die großen Fußballverbände andere Wettbewerbe nicht grundsätzlich von ihrer Genehmigung abhängig machen dürfen und Vereinen und Spielern nicht verbieten, an diesen Wettbewerben teilzunehmen. 

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes sagte im Februar diesen Jahres: “Wir werden die Urteile auswerten und mögliche Auswirkungen auf unsere rechtliche Bewertung und das weitere Vorgehen in dem 50+1-Verfahren beraten”. Hinzu kommen interne Umstrukturierungsmaßnahmen innerhalb des Kartellamtes, was die Bearbeitung zusätzlich verlangsamt. Die DFL betont allerdings immer und immer wieder, wie wichtig 50+1 für den deutschen Fussball sei: “Die 50+1-Regel ist ein zentraler und elementarer Bestandteil der Satzung des DFL e.V. und gilt für alle Mitglieder und Organe des Ligaverbandes. Die Teilnahme vereinsgeprägter Klubs am Spielbetrieb der Bundesliga und 2. Bundesliga ist ein Wesenskern dieser Wettbewerbe.”

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Konflikt bei Hannover 96

Bei Hannover 96 streiten sich seit vielen Jahren der Mutterverein und Martin Kind darum, wer das Sagen und die Macht in der ausgegliederten Profifußball-Gesellschaft besitzt. Kind investierte viele Jahre lang hohe Summen in den Verein und beanspruchte deshalb die Übernahme von 96. Das lehnte damals die DFL ab. Da Kind Präsident des e.V. und gleichzeitig Geschäftsführer der Fussballfirma war, quasi selbst kontrollierte, schwelte der Konflikt jahrelang medial untergeordnet vor sich hin. Als es den Mitgliedern jedoch gelang, Kind als Präsident abzuwählen, versuchten sie ihn auch als Geschäftsführer abzusetzen. Um dieses Prinzip durchzusetzen, ist der Geschäftsführer bei Hannover 96 in der Management GmbH verortet. Diese gehört nicht der Kapitalseite um Martin Kind, sondern zu 100 Prozent dem Mutterverein. Mit dem Verweis darauf setzte die Führung des e.V. Kind im Juli 2022 als Geschäftsführer der GmbH ab. Kind klagte dagegen und bekam Recht, weil Vereins- und Kapitalseite 2019 den sogenannten Hannover-96-Vertrag abschlossen, der ihr Verhältnis regelt. Genauer gesagt geht es darum, dass bei solchen Entscheidungen eine Mehrheit im Aufsichtsrat vorliegen muss – und dort sitzen zwei Vertreter des e.V. und zwei der Kapitalseite um Kind. Das Landgericht Hannover hatte Kinds Absetzung 2022 für nichtig erklärt. Und auch das Oberlandesgericht Celle wies eine Berufung dagegen sechs Monate später zurück. Was hat dies allerdings mit dem Verfahren um 50+1 zu tun?

DFL Investoren-Abstimmung

Im Dezember gab es innerhalb der DFL die Abstimmung über einen möglichen Einstieg eines Investors in die Fussball-Liga. Mit der knappsten Mehrheit von den geforderten 24 Stimmen gab es ein positives Ergebnis für den Einstieg eines Investors. Martin Kind wurde als Geschäftsführer von Hannover 96 vom Stammverein per 50+1 angewiesen, gegen diesen Deal zu stimmen. Die Abstimmung war zwar geheim, dennoch wurde nach und nach bekannt, das Kind wohl für einen Investor gestimmt haben könnte. So begann eine Diskussion zum Thema, was 50+1 überhaupt wert sei, wenn Kind sowieso machen könne was er will, und ob dies zu Konsequenzen führt. Kind beruft sich auf den Hannover 96-Vertrag und der Argumentation, dass das Unternehmensrecht Vorrang vor dem Verbandsrecht hat.

Konflikt beim VfB Stuttgart

Beim VfB Stuttgart hat der aktuelle Konflikt einen anderen Hintergrund, geht im Kern allerdings um das gleiche Thema. Wer hat die Macht und das Sagen im Verein. Im Januar stieg Porsche offiziell als Anteilseigner beim VfB ein. Sofort forderte Porsche personelle Veränderungen an der Spitze des elfköpfigen Aufsichtsrates. Zunächst war Vereinspräsident Vogt als Aufsichtsratschef der AG abgewählt und damit ein jahrelanges Versprechen an die Mitglieder gebrochen worden, wonach der Präsident des Vereins auch immer Vorsitzender des Kontrollgremiums bleiben sollte. Es folgten öffentliche Stellungnahmen von den diversen Seiten in dem Konflikt. Durch die Abberufung des Präsidenten wurde zum einen ein Versprechen gebrochen, zum anderen wird auch hier mit der Aushebelung der 50+1 Regel argumentiert.

Wie geht es weiter

Zurück zu Hannover 96. Der Konflikt um die gewünschte Entlassung von Martin Kind und der mögliche Verstoß gegen 50+1 im Zuge der DFL-Investorenabstimmung, könnte laut dem Sport Inside-Podcast generell eine Gefahr für die 50+1 Regel in Deutschland darstellen. Auch Sport- und Kartellrechtsexperte Paul Lambertz bestätigt dies: “Wenn man die Regeln, die man sich selber gibt, nicht einhält, dann sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen.” Mit dem Konflikt bei Hannover 96 befasst sich nun der Bundesgerichtshof (BGH). Am 4. Juni 2024 hat der zweite Zivilsenat in Karlsruhe eine mündliche Verhandlung angesetzt. Wann er ein Urteil spricht, ist noch nicht absehbar. 

Für Hasan Ismaik und 1860 München stehen im Juni nun zwei wichtige Termine an. Das Urteil um die Causa Kind wird entscheidend für die weitere Rechtssicherung von 50+1 sein. Am 16.06. steht dann die Mitgliederversammlung der Löwen an. Die vom Bündnis Zukunft propagierte “letzte Chance” für den Profifussball bei 1860 wird auch für Ismaik von entscheidender Bedeutung sein, wie er dann strategisch mit seinen Anteilen bei 1860 umgeht.

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